Merkels Kabinett:Machtzentrum mit Lähmungserscheinung

Government Buildings At Twilight

Geschäftsführend geht es weiter im Berliner Bundeskanzleramt

(Foto: Getty Images)

Das Kabinett von Kanzlerin Merkel hat sich nach der Bundestagswahl noch nicht getroffen. Wenn sich am 22. Oktober der neue Bundestag konstituiert, wird die Regierung nur noch geschäftsführend im Amt sein. Dann gelten gewisse Einschränkungen - wie das "Versteinerungsprinzip".

Von Robert Roßmann, Berlin

Die Bundesregierung ist eigentlich das politische Machtzentrum Deutschlands, doch in diesen Wochen muss die Republik ohne das Kabinett auskommen. Normalerweise treffen sich Angela Merkel und ihre Minister mittwochs um 9.30 Uhr. Um 13 Uhr berichtet dann Regierungssprecher Steffen Seibert über die Ergebnisse. Doch seit mehr als drei Wochen ist es mit diesem Ritual vorbei. Am 18. September hat sich das Kabinett zum letzten Mal getroffen. Eine für den 2. Oktober angekündigte Sitzung wurde abgesagt. Die Minister von Union und FDP haben sich also seit der Bundestagswahl nicht mehr gesehen.

Für Seibert war das keine angenehme Zeit. In den vergangenen Wochen gab es kaum eine Pressekonferenz, in der er nicht nach der abgetauchten Regierung gefragt wurde. "Es gibt derzeit keinen Beschlussbedarf und deswegen auch keine Sitzung", erklärte Seibert dann ein ums andere Mal. Man müsse sich aber keine Sorgen machen, schließlich sei die Regierung "voll handlungsfähig". Wenn es etwas zu beschließen gäbe, würde das Kabinett "natürlich auch wieder zusammenkommen".

Jetzt scheint es endlich so weit zu sein: Die Kanzlerin hat zu einer Kabinettssitzung geladen. Mittwoch kommender Woche soll sie stattfinden. Die Tagesordnung ist zwar noch nicht fertig, aber das Treffen dürfte trotzdem einige Beachtung finden. Schließlich kann man nicht so oft eine Regierung in Abwicklung bestaunen.

Zumindest noch handlungsfähig

Seibert hat formal zwar recht: Die Regierung ist - zumindest laut Grundgesetz - noch handlungsfähig. Bis zur Konstituierung des Bundestags am 22. Oktober amtiert sie in alter Machtvollkommenheit. Trotzdem zeigt sie schon Auflösungserscheinungen. Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hat wegen ihres Wechsels nach Bayern den Platz in Merkels Runde aufgegeben. Außerdem ließ sich Staatsminister Eckart von Klaeden von seinem Amt entbinden, um Lobbyist bei Daimler zu werden.

Und dann sind da ja noch die fünf Minister der aus dem Bundestag gewählten FDP. Manch einer von ihnen scheint sich derzeit mehr um seine Zukunft zu kümmern als um sein Amt. Nach dem Hickhack um die Zweitstimmen-Kampagne der Liberalen dürften sich außerdem nicht alle FDP-Minister nach einem Wiedersehen mit ihren Unionskollegen sehnen.

"Grundsätzlich dieselben Befugnisse"

Die Kabinettssitzung am 16. Oktober wird aber auch die letzte sein, bevor aus der ordentlichen Regierung eine "geschäftsführende" wird. Kein Wunder also, dass sich in diesen Tagen viele fragen, was eine geschäftsführende Kanzlerin mit geschäftsführenden Ministern dann noch beschließen darf. Normalerweise hilft bei derlei Fragen ein Blick ins Grundgesetz. In diesem Fall kommt man damit aber nicht sehr weit.

Deshalb hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ein kleines Gutachten erstellt. "Eine geschäftsführende Regierung besitzt nach herrschender Meinung grundsätzlich dieselben Befugnisse wie eine regulär im Amt befindliche Regierung", heißt es darin. Ihr Handlungsspielraum sei "nicht auf die laufenden Geschäfte beschränkt". Das heißt, dass auch einer geschäftsführenden Regierung das Gesetzesinitiativrecht einschließlich der Einbringung des Haushalts zusteht. Außerdem dürfen die Minister weiter Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen.

Es gibt aber auch Einschränkungen. So kann der Kanzler einer geschäftsführenden Regierung keine Vertrauensfrage stellen, weil er ja nicht kraft parlamentarischen Vertrauens des neuen Bundestages amtiert. Aus demselben Grund ist ein Misstrauensvotum des neuen Bundestages gegen einen geschäftsführenden Kanzler ausgeschlossen.

Ein solcher Kanzler ist auch in der Besetzung seiner Ressorts nicht mehr frei, denn es gilt das sogenannte Versteinerungsprinzip. Das bedeutet, dass - etwa durch Rücktritt - verwaiste Ressorts nur noch von Regierungsmitgliedern übernommen werden dürfen. Die Ernennung Dritter zu Ministern ist nicht zulässig, da dies einer Regierungsneubildung gleichkäme.

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