Merkels Bilanz des G-20-Gipfels:"Der Gipfel konnte abgehalten werden"

  • Nach dem G-20-Gipfel verurteilt Kanzlerin Merkel die Ausschreitungen und lobt die Arbeit der Polizei.
  • Inhaltlich hat das Treffen jedoch nur kleine Fortschritte gebracht - Kritiker sehen diese in keinem Verhältnis zum Aufwand.
  • Für die Debatte zu Hause wird die Bilanz des Gipfels nicht reichen. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister steht nun unter Druck.

Von Nico Fried

Hier würde ein Wasserwerfer auch nichts nützen. Angela Merkel hat beschlossen, vor der Kritik keinen Millimeter zu weichen. Es habe schon Gipfel in anderen europäischen Großstädten gegeben, sagt die Kanzlerin. Cannes, zum Beispiel, oder London. Deutschland sei außerdem ein Land, das sich sehr dafür einsetze, Politik möglichst in internationaler Abstimmung zu machen. Deswegen habe es nahe gelegen, nun auch einmal den Vorsitz der G20 zu übernehmen. "Da kann man sich nicht vor Verantwortung drücken", sagt Merkel. Deshalb sei die Entscheidung für Hamburg richtig gewesen. Es könne nicht sein, "dass wir erklären, an bestimmten Stellen kann man das nicht machen."

Die bestimmte Stelle in diesem Fall war das Hamburger Messegelände. Es liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Schanzenviertels, das für seine linksautonome Szene in etwa so bekannt ist wie das Bermuda-Dreieck für seine Flugzeugabstürze. Doch die Krawalle insbesondere in der Nacht zu Samstag waren selbst für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich heftig.

"Entfesselte Gewalt und ungehemmte Brutalität verurteile ich auf das Schärfste", sagt Merkel. Es gebe "nicht die geringste Begründung für solche Angriffe, die das Leben von Menschen gefährden." Man habe jedoch diesen Ort gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden und mit der Stadt Hamburg ausgesucht. Der Polizeieinsatz sei "sehr sorgfältig geplant" gewesen, so die Kanzlerin, es sei "exzellente Arbeit" geleistet worden. Das Ergebnis bringt sie auf den Punkt, als handele es sich um einen Polizeibericht: "Der Gipfel konnte abgehalten werden."

Es ist Samstagnachmittag. Hinter Merkel liegen zwei Gipfeltage unter deutschem Vorsitz. Nun trägt sie der internationalen Presse die Ergebnisse vor. Sie habe ja vorher schon gesagt, dass die Voraussetzungen kompliziert seien. Man müsse als G-20-Vorsitz Kompromisse finden, aber Dissens nicht übertünchen. "Das war auch der Geist, in dem wir hier gearbeitet haben". Es ist ein durchwachsenes Fazit. Und umso mehr liegt angesichts der Begleiterscheinungen die Frage über allem: War es das wert?

Handel, Klima, Armutsbekämpfung, das waren nur einige Themen auf diesem Gipfel. Daneben noch jede Menge Treffen in kleineren und kleinsten Kreisen zu den Krisen dieser Welt. Mit Emmanuel Macron und Wladimir Putin hatte die Kanzlerin ein ordentliches Gespräch über den Ukraine-Konflikt, ist zu hören. Für das Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan hat man in der deutschen Delegation nur ein Wort: unterirdisch.

Doch die meiste Zeit verwenden vor allem die Mitarbeiter der Staats- und Regierungschefs bei solchen Ereignissen auf das Abschlusssdokument. Sie sei zufrieden, sagt Merkel über das Kommuniqué, dass nun zum Beispiel gesagt werde, die Märkte müssten offen bleiben, Protektionismus bekämpft und unfaire Praktiken beendet werden. Das klingt so selbstverständlich. Aber das ist es nicht, wenn man an die Drohung von Donald Trump mit Strafzöllen denkt. Bis in die letzten Minuten wurde wieder um einzelne Formulierungen gerungen. Und hier liegt es nicht nur an den USA.

"Blindwütige Gewalt kann nicht geduldet werden"

Anders beim Klimaschutz. 18 Staaten plus die Europäische Union, aber minus die USA bezeichnen nun das Pariser Abkommen zum Abbau des Kohlendioxidausstoßes als unumkehrbar und wollen es so schnell wie möglich umsetzen. Das heißt vor allem, irgendwelche Neuverhandlungen mit den Amerikanern soll es nicht geben. Ein so klares Bekenntnis ist nach den Maßstäben der internationalen Politik als Erfolg zu werten. Aber es zeigt auch, was für ein mühsames Geschäft das ist.

Genau dagegen, gegen die zu kleinen Fortschritte im Angesicht so großer Probleme haben viele Kritiker in diesen Tagen auch friedlich in Hamburg demonstriert. Noch am Samstag ziehen mehrere Zehntausend durch die Straßen der Stadt. Friedliche Demonstrationen hätten "natürlich den Druck und die Erwartungen deutlich gemacht", sagt Merkel. "Wir wussten, wenn wir uns hier versammeln, erwarten viele Menschen Ergebnisse." Sie wünsche sich da eine "klare Trennung". Friedliche Demos, "das spornt uns an", sagt die Kanzlerin. "Aber blindwütige Gewalt kann nicht geduldet werden."

Und wo genau hat der Druck der Straße geholfen? Immerhin, zur Bekämpfung des Hungers in einigen Staaten Afrikas stocken die USA ihre humanitäre Hilfe massiv auf. Auch bei der Förderung von Frauen ist Donald Trump ein Verbündeter, wenn auch nur, weil das Thema seiner Tochter Ivanka so viel bedeutet. Wie wichtig ihre Rolle ist, wurde wiederum klar, als sie sich einige Zeit quasi-offiziell auf den Platz ihres Vaters setzte. Das sei aber, sagt Angela Merkel, im Rahmen dessen gewesen, wie andere Delegationen ihre Vertretungen auch regelten. Schließlich sei ja bekannt, "dass sie im Weißen Haus arbeitet".

Hamburgs Bürgermeister steht nun unter Druck

Aber nochmal: Das Entsetzen über die Krawalle neben dem Gipfel ist groß. Selbst einige Staats- und Regierungschefs waren davon betroffen, die Franzosen kamen am Freitagabend zunächst nicht zu ihren Hotels. Ein irritierter mexikanischer Präsident soll aus demselben Grund mitten in der Nacht sogar bei Merkel persönlich angerufen haben. Gleichwohl sagt Merkel, dass die Kollegen ihr ausdrücklich aufgetragen hätten, den Dank an die Einsatzkräfte auszurichten.

Für die Debatte zu Hause wird das nicht reichen. Und für Olaf Scholz schon gar nicht. Der steht nun richtig unter Druck. Kanzlerin und Bürgermeister haben sich bereits verständigt, für die Schäden einen staatlichen Fonds einzurichten. Der Steuerzahler soll nun also für die verbrannten Autos, geplünderten Läden und eingeschmissenen Fensterscheiben aufkommen, die ein marodierender Mob hinterlassen hat.

Nach der Pressekonferenz trifft Merkel zusammen mit Scholz einige Polizisten. Es ist nur eine kleine Auswahl. Die meisten ihrer Kollegen sind schon wieder bei der nächsten Demonstration.

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