Merkels Beraterin:Die Frau an ihrer Seite

Sie trägt den bescheidenen Titel "Büroleiterin" und hält sich still im Hintergrund - ihr Einfluss auf die Regierungschefin aber ist kaum zu überschätzen: Angela Merkels politische Beraterin Beate Baumann.

Christoph Schwennicke

Diese Geschichte geht eigentlich nicht. Man kann sie im Grunde nicht erzählen, denn sie handelt von einer Person, die es am besten gar nicht gibt, die nicht redet oder jedenfalls kein Wort von sich in der Zeitung lesen will, deren liebste Zeitung diejenige ist, die die Kanzlerin preist, aber nicht sagt, wer sie groß herausgebracht hat, die Kanzlerin.

Merkels Beraterin: Stets im Hintergrund: Beate Baumann.

Stets im Hintergrund: Beate Baumann.

(Foto: Foto: dpa)

Sie handelt von Menschen, die in den höchsten Tönen schwärmen, und von Leuten, die Gift und Galle spucken. Sie handelt von Begegnungen, die bei der Nennung des Themas erst gar nicht zustande kommen, und von solchen, an deren Ende der Gesprächspartner um Verständnis dafür bittet, im Kanzleramt Bescheid zu sagen, dass er dieses Gespräch geführt hat, und bitte: keine Namen.

Sie handelt von einer Person, die findet, dass ohnehin viel zu viel hineingeheimnist wird in sie. Sie handelt aber auch von Menschen, die das ganze Gespräch über mächtig herumdrucksen, aber bei der Frage, ob es denn richtig sei, Beate Baumann diese außerordentliche Bedeutung für Angela Merkels Kanzlerschaft und gesamte Karriere beizumessen, den Satz gar nicht ausklingen lassen, sondern bestimmt und gar nicht mehr verdruckst sagen: "Ja! Ja! Ja!" Pause. "Und nochmal Ja!"

Eifrig und gnadenlos

Und genau deshalb muss über Beate Baumann geschrieben werden, über eine 44-jährige Frau aus Osnabrück, die heute Gymnasiallehrerin für Deutsch und Englisch sein könnte, die aber an einer entscheidenden Weggabelung des Lebens vor mehr als 15 Jahren einer Bundesministerin mit gebrochenem Bein im Krankenhaus begegnet und heute deren Büroleiterin im Berliner Kanzleramt ist. Büroleiterin, ein völlig überfordertes, hilfloses Wort aus der Sprache der Bürokraten, das überhaupt nicht ausreicht, ihre Aufgabe und Bedeutung zu beschreiben.

Der Kanzler und sein Intimus, oder besser seine Intima, das ist ein alter Topos. Helmut Kohl hatte seine Juliane Weber, Gerhard Schröder Sigrid Krampitz, und Angela Merkel hat eben Beate Baumann. Die immergleiche Geschichte: Macht macht mächtig - aber auch mächtig einsam. Und einen oder eine muss es immer geben, ein Regulativ, jemanden, der diese Einsamkeit durchbricht, der warnen kann, wo alle nur Bücklinge machen und immer noch lobpreisen, während die Macht schon erodiert.

Jemand mit der unbedingten Loyalität, einer beinahe unmenschlichen Askese, was das eigene Geltungsbedürfnis anbelangt, eine an Leibeigenschaft grenzende Selbstaufgabe eines eigenen Lebens, das allerdings vergütet wird vom stillen Wissen um die Teilhabe an der Macht und dem beinahe exklusiven Recht zum jederzeitigen Widerspruch ohne schädliche Konsequenzen.

Wie gesagt: Es gab sie schon immer, diese Pärchen im Kanzleramt. Solche Beziehungen wachsen wie hartes Holz, ganz langsam, Jahresring für Jahresring. In Angela Merkel und Beate Baumann hat dieses Pärchen eine neue Entwicklungsstufe erreicht, was nicht nur an den beiden liegt, sondern auch daran, dass sich Politik sehr stark verändert hat und die Rolle des engsten Beraters für eine Spitzenpolitikerin immer wichtiger geworden ist, für eine Kanzlerin allemal.

"Was will die denn hier?"

"Warte mal!" Alles begann mit diesen zwei Worten, die der Landesvorsitzende der Jungen Union in Niedersachsen einer jungen Frau irgendwann im Sommer/Herbst 1984 hinterhergerufen hatte. Nichts als ein "Was will die denn hier?" war der Studentin Beate Baumann bis zu diesem Zeitpunkt im Sitzungszimmer entgegengeschlagen, als diese still für sich beschloss, dass ihre erste JU-Sitzung auch ihre letzte sein sollte. Es war ohnehin nur ein Versuch der politischen Kontaktaufnahme. Initialzündung war vielleicht eine Begebenheit an der Universität Münster.

Baumann wurde von Kommilitonen des Fachbereichs Anglistik bedrängt, doch an einer Abstimmung gegen die Nachrüstung teilzunehmen. Sie lehnte ab. "Bist wohl zu feige, gegen die Raketen zu stimmen?", hänselte sie jemand. "Ich habe inzwischen den Eindruck, dass es mehr Mut erfordert zu sagen: Ich stimme nicht ab, als ich stimme ab." In einem eher CDU-affinen Elternhaus groß geworden, ging Baumann der linke Gruppenzwang auf die Nerven. Daraufhin suchte sie im Telefonbuch von Osnabrück die Nummer der Jungen Union heraus.

So geriet sie an Christian Wulff, dem Mann, der ihr das "Warte mal" hinterherrief und sie zum Bleiben bewegte. Der Kontakt zu Wulff hielt auch in jener Phase, als Baumann in Cambridge weiterstudierte. Als Helmut Kohls junge Familienministerin Angela Merkel nicht nur ein Bein gebrochen hatte und in der Berliner Charité lag, sondern auch noch eine neue Mitarbeiterin suchte, sagte ihr Christian Wulff: "Da weiß ich jemanden."

Die Geschichte vom kleinen Kuckuck

Zwei Stunden haben sich Merkel und Beate Baumann am 15. Februar 1992 unterhalten. Baumann merkte sehr schnell: Diese Frau interessiert mich. Vice versa muss es auch so gewesen sein, denn Merkel hakte bald nach. Möglicherweise hatte Beate Baumann nicht zuletzt deshalb einen guten Eindruck hinterlassen, weil sie den Job, damals noch als Aushilfsposten für einen Tag in der Woche, nicht auf Teufel komm raus brauchte. Lehramt oder Promotion wären auch denkbar gewesen an dieser Weggabelung.

Die Jahre seither Seite an Seite lassen sich grob in drei Phasen einteilen: Die Zeit bis 1998/99 und dem Bruch mit Helmut Kohl, die Phase bis zur Wahl 2005, und die bald zwei gemeinsamen Jahre im Kanzleramt. Merkel war in der Partei und den Ministerien berüchtigt für den Verschleiß ihrer Mitarbeiter. Baumann aber hielt sich. Die einen sagen, weil sie einen enormen Leistungswillen und ein beinhartes Durchhaltevermögen an den Tag legte, das der Chefin auffiel. Die anderen sagen, weil sie gnadenlos alles weggebissen hat, was der Chefin zu nahe kam und wie potentielle Konkurrenz aussah.

Was von damals erzählt wird, hört sich an wie die Geschichte vom kleinen Kuckuck, der der Vogelmutter seinen stets unersättlichen Rachen entgegenreckt, die Stiefgeschwister aus dem Nest wirft, und irgendwann der Mutter über den Kopf wächst. Regelrecht wesensverändert und beaufsichtigt habe die in ihrem natürlichen Kern unbekümmerte Merkel immer gewirkt, sobald Beate Baumann dabei gewesen sei und sie beobachtet habe. "Wir haben doch gesagt, dass wir mit dem Spiegel nicht mehr reden." Solche Sätze werden aus jener Zeit kolportiert. Der CDU-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern soll sich mit der strukturellen Amtsanmaßung Baumanns einmal befasst haben.

Schneisen der Verheerung

Aus dieser Zeit stammen auch Beschreibungen Baumanns, wie nur finsterste Machiavellisten sie als Kompliment auffassen würden. Ein Klima der Angst habe sie geschaffen. Wie ein Terrier habe sie sich in Waden verbissen, wenn sie den Eindruck hatte, da will einer ihrer Herrin Böses. "Für wen arbeitest du eigentlich?", soll sie Leute angefaucht haben, wenn sie auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem Parteikoloss Kohl den Eindruck hatte, einen Maulwurf in den eigenen Reihen zu haben.

Eine kumpelige Art habe sie, aber eine, in der immer mitschwinge: "Ich sag's der Chefin." Manche Leute in der CDU leiden heute am Duzen, das sie eines Tages mit Baumann begonnen haben, aber zurück zum Sie führt im deutschen Umgangskodex kaum ein Weg. Merkel und Baumann siezen sich übrigens bis in die engsten Zirkel hinein bis heute. Ein Satz fällt mehrfach, aus dieser Zeit bis hin zu jenen Tagen, als nach den schmachvollen 35 Prozent bei der Bundestagswahl 2005 alle Nerven in der Merkelei blank lagen: Beate Baumann sei noch nie schuld gewesen.

Die Frau an ihrer Seite

Die Beschreibungen spielen schnell ins Diabolische. Auffällig ist, dass ausschließlich Männer so reden, Männer, die verloren haben gegen das System Merkel-Baumann, was die Vermutung nahelegt, dass bei alldem die archaische Angst vor starken Frauen eine nicht unerhebliche Rolle spielt.

Die Schönheit liege im Auge des Betrachters, heißt es. Bei Baumann liegt der Schrecken sehr stark im Kopf des Betroffenen. Jedenfalls kann nach einer Ortsbesichtigung im siebten Stock des Kanzleramtes festgehalten werden: Unter der Tür drückt kein gelber Schwefeldampf durch, auf der Schulter von Beate Baumann sitzt auch kein schwarzer Rabe. Sie lächelt und hat hellwache Augen. Im Umgang ist sie freundlich, einfühlsam, herzlich, sehr kontrolliert und ebenso resolut. Geschwätz ist ihr physisch unangenehm, vertane Zeit. Sie ist ungemein schnell und anspruchsvoll.

Gespräche wie Blitzschach

Ein Gespräch mit ihr ist wie Blitzschach, bei dem die Spieler nach jedem Zug auf die Stoppuhr hauen: Nächste Frage. Ist Beate Baumann mit einer These konfrontiert, der sie zustimmt, kann sie meist das Ende des Satzes nicht abwarten: "So ist das!" Stimmt sie einer These nicht zu, hört sie sich den Satz höflich zu Ende an und beginnt ihre Antwort mit: "Nein!" Fordernd ist das, ein bisschen anstrengend, aber auch sehr fruchtbar. Gymnastik fürs Gehirn.

In diesem Büro, das der Architekt Axel Schultes einmal als Interviewzimmer des Kanzlers vorsah, hatte Doris Schröder-Köpf ihr ästhetisch umstrittenes weißes Büro, Christina Rau lenkte von hier aus die Tsunami-Hilfe. Heute ist der fein säuberlich sortierte Schreibtisch mit Blick auf die Spree Umschlagplatz der Macht. Hier sortiert Baumann vor, was die Kanzlerin vorgelegt bekommen muss und was nicht, eine Arbeit, die viel damit zu tun hat, dass auf die Frau an der Schleuse dieses Nachrichtenstroms viele nicht gut zu sprechen sind.

Beate Baumanns Aufgabe ist es zwar auch, die Kanzlerin mit Dingen zu behelligen und zu befassen. Die noch größere Aufgabe aber ist, ihr Dinge vom Leib zu halten. Und die ganz große Aufgabe besteht darin, nicht das eine zu tun, wenn das andere opportun wäre.

Von der Kanzlerin heißt es, dass sie oft mal auf einen Sprung herüberschaue. Von Kanzleramtsminister Thomas de Maizière heißt es das nicht. Die außerordentliche Stellung Baumanns hat operativ die weitreichendsten Folgen für ihn. Baumann ist, gespiegelt am Schröder-Imperium, Sigrid Krampitz und ein Stück weit Frank-Walter Steinmeier in einer Person. Sie hat zugleich eine andere Rolle als Krampitz bei Schröder. Schröder, der Bulldozer, brauchte eine Büroleiterin, die vorauseilend oder nacheilend sah, wo der Chef wieder eine Schneise der Verheerung hinterließ. Also schrieb sie hier Briefe.

Sie dankte zum Beispiel für die prompte Lieferung einer Vorlage, für die der Verfasser sicher die ganze Nacht geopfert habe. Oder sie ließ wissen, dass der Kanzler nur aus Zeitgründen noch nicht dazu gekommen sei zu sagen, wie toll das wieder gemacht wurde.

Baumann ist Merkels Misstrauen

Baumanns Rolle ist anders. Sie ist Merkels Misstrauen. Dafür bekommt man keine Blumensträuße ins Büro geschickt, aber es muss einer machen. Da draußen sind weniger Freunde unterwegs, als es den Anschein hat. Entgegen landläufiger Meinung ist Angela Merkel jemand, die nicht gleich hinter jedem Busch jemanden vermutet und sich eine erstaunliche Zugewandtheit zu den Menschen und auch eine situative Lebensfreude erhalten hat. Baumann ist dazu da, diese Neigung der Chefin zu zügeln, lieber hinter einem Busch zu viel als hinter einem Busch zu wenig jemanden zu vermuten.

Das Vertrauen zwischen Kanzlerin und erster Beraterin ist über die Jahre erfolgreich gewachsen. Merkel, das erzählen Beobachter aus den engsten Zirkeln, macht gerne mal ein kleines Scherzchen zu Lasten Dritter, ahmt Menschen mit einigem komischen Talent nach. Über Baumann hat sie noch nie einen Witz gemacht. Sie schätzt deren außerordentliche politische Urteilskraft, die Fähigkeit, immer das ganze Bild zu sehen.

Die Herangehensweise der beiden an Politik ist ähnlich. Es ist eine naturwissenschaftliche. Baumann ist Sprachwissenschaftlerin und nicht Literaturwissenschaftlerin, das macht einen großen Unterschied. Ihre Examensarbeit schrieb sie über "Die temporalen Konjunktionen im Deutschen". Das ist nicht Feuilleton. Merkel liegt Baumanns Stil, beide eint die Abneigung gegen alles Aufgeblasene und Wichtigtuerische. Merkel schätzt Baumanns unbedingten Willen, ihre Leistungsbereitschaft und Loyalität.

Dabei widerspricht ihr niemand so scharf wie die Büroleiterin. Halbheiten gibt es nicht bei Baumann: Dinge sind entweder so oder so. Nicht immer folgt Merkel ihrem Rat: Aber sie hört sich ihn immer an. Nur Merkels Mann wird eine ähnliche Rolle zugebilligt. Beate Baumann ist die Architektin der Kanzlerschaft Merkels: Sie empfahl und managte 1999 die Abnabelung der damaligen Generalsekretärin von Kohl über einen Text in der FAZ, sie drängte Merkel in ihren verwundbarsten Stunden nach der Bundestagswahl, sich sofort als Fraktionsvorsitzende bestätigen zu lassen, weil sonst nichts mehr zu garantieren gewesen wäre.

Wasser statt Wein

Sie schreibt den Merkel-Sound in die Reden wie etwa in jene zum 50. Geburtstag der Europäischen Union im Berliner Schlüterhof, als die Kanzlerin die versammelte Regentenschar mit persönlichen Reminiszenzen und gleichzeitig historischen Tiefen beeindruckte. Ihre Befriedigung ziehen Menschen wie Beate Baumann nicht daraus, dass alle Welt weiß, wer dieser Rede ihren Pfiff verliehen hat. Die, die es wissen muss, weiß es schon. Selbst die, die Beate Baumann nicht eben wohlwollend gegenüberstehen, sind beeindruckt von dieser Gabe. Sie werde nie über ihre Eitelkeit stolpern, sagen sie. Die Eitelkeit ist die häufigste politische Todesursache von politischen Beratern. Sie halten es irgendwann im Dunkeln und jenseits der Scheinwerfer nicht mehr aus.

Neuerdings ist Beate Baumann, die man nie im den politischen Szene-Lokalen Borchardt oder Café Einstein trifft, mitunter auf Auslandsreisen der Kanzlerin dabei. Dass sie das Kanzleramt verlässt, die Stellung nicht hält, wenn die Chefin verreist, ist aber kein Hinweis auf ein neues Geltungsbedürfnis. Eher schon darauf, dass sich Merkel und damit auch Baumann sicherer fühlen im Sattel der Macht. Man kann den Bunker jetzt auch mal kurz verlassen. Außenpolitik interessiert Baumann außerordentlich, wie große Räder überhaupt. In Sotschi war sie dabei, als Merkel Putin in einer Sommerresidenz traf und der Hausherr eine Vorahnung davon gab, was er kurz danach an Streit mit dem Westen vom Zaun brechen würde. Sie war dabei im Nahen Osten und feilte dort zum Beispiel im Hotelzimmer an der Rede, die Angela Merkel später an der Universität von Jerusalem hielt, während die Kanzlerin die Mitreisenden auf dem Balkon ins Bild setzte. Baumann huschte auch mit in den Sitzungsraum und drückte sich in den hinterletzten Sitz beim spätabendlichen Hintergrundgespräch im Jerusalemer Hotel King David, alle tranken Wein und knabberten Nüsse, sie fixierte Merkel, saugte die Atmosphäre auf und freute sich über ein viel zu spät gereichtes Glas Wasser.

In Heiligendamm, beim G-8-Gipfel, war sie nicht dabei, sie hielt die Stellung im Kanzleramt. In die Vorbereitung und vor allem in die strategische Planung aber war sie eng eingebunden. "Der Gipfel wird als gescheitert angesehen, wenn keine überzeugenden Ergebnisse beim Klimaschutz erreicht werden", hatte Baumann in einer Spitzenrunde klipp und klar formuliert. Das Klima blieb in den Tagen und Wochen danach das alles bestimmende Thema und bestimmte am Ende auch Merkels Gipfel-Bilanz.

Das Ergebnis von Heiligendamm hat Beate Baumann also genossen. Auch wenn sie nicht vor Ort war. Scheinwerferlicht braucht sie nicht. Nähe schon. Am trefflichsten war dies vor ein paar Wochen zu beobachten, bei der Rückkehr aus Israel. Spät in der Nacht sind die schwarzen Dienstwagen in Tegel auf dem Rollfeld vorgefahren. Beate Baumann stieg mit Merkel in den Fond der Limousine - und sonst niemand.

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