Merkel, Wulff und die Krise in der Koalition:Konkurrenzlos schlecht

Dass Christian Wulff im dritten Anlauf gewählt wurde, ist symptomatisch für das schwarz-gelbe Siechtum. Nahezu nichts in dieser unseligen Koalition gelingt auf Anhieb.

Nico Fried

Es hat wohl noch nie eine Koalition gegeben, die nach so kurzer Zeit so sehr an sich selbst gelitten hat wie die von Union und FDP. Selbst jene Koalitionäre, die das Lamento über das Kollektiv des Versagens nur für den Ausfluss unverhältnismäßiger Übertreibung hielten, müssen seit der Wahl des neuen Bundespräsidenten mindestens die Existenz eines dualen Systems einräumen: Die harsche veröffentlichte Meinung über das Desaster der Koalition wird genährt, ach was, gemästet von deren unfassbarer Lust an masochistischer Selbstzerstörung.

Angela Merkel, Guido Westerwelle

Betretene Mienen bei Guido Westerwelle und Angela Merkel: Dass Christian Wulff im dritten Anlauf gewählt wurde, ist symptomatisch für das schwarz-gelbe Siechtum.

(Foto: AP)

In dieser miserablen Verfassung wird die Koalition von der besten Verfassung geschützt, die Deutschland je hatte. Das Grundgesetz verlangt für den Sturz einer Regierung eine handlungsfähige neue Mehrheit. Und dass es die nicht gibt, ist die zweite Lektion aus der denkwürdigen Bundesversammlung. Die Linkspartei hat eindrucksvoll gezeigt, dass sie gut gegen alles sein kann, aber nie für etwas. Das wird nicht reichen für eine Regierungsoption, jedenfalls sollte es SPD und Grünen nicht reichen, die Linke als Partner in Erwägung zu ziehen. Das einzige belastbare Bündnis in der Opposition heißt derzeit Rot-Grün-Nix.

Dass Christian Wulff im dritten Anlauf gewählt wurde, ist symptomatisch für das schwarz-gelbe Siechtum. Nahezu nichts in dieser unseligen Koalition gelingt auf Anhieb. Wenn überhaupt, wurschtelt man sich durch, und wer immer etwas damit zu tun hat, steht hinterher oft beschädigt da.

Wer das für normal hält, kann sich nach neuneinhalb Stunden in der Bundesversammlung auch freundlich lächelnd hinstellen wie die Bundeskanzlerin und sagen, das Ergebnis sei "zufriedenstellend". Angela Merkel wirkt in solchen Momenten, als hielte sie die Türklinke fest in der Hand, während eine Schlammlawine den Rest des Hauses ins Tal hinunterreißt.

Zufriedenstellend. Mehr Anspruch hat Merkel offenbar nicht mehr. Richtig ist, dass diese Regierung unter den außergewöhnlichen Umständen einer Währungs- und Wirtschaftskrise arbeiten muss. Richtig ist auch, dass man Merkel hier noch keinen substantiellen Fehler nachweisen kann. Gerade deshalb aber fällt auf, wie wenig sie innenpolitisch hinbekommt. Sie habe das Wort vom "Neustart" nie in den Mund genommen, hat die Kanzlerin gesagt. Das stimmt mit Sicherheit, es wäre ja etwas gewesen, woran man sie hätte messen können.

SPD: Ernüchterung nach dem Rausch

Diese Koalition ist sogar schlechter als die Stimmung im Land. Das kommt auch nicht alle Tage vor. Die wirtschaftliche Lage bessert sich, die Arbeitslosigkeit ist nicht so stark gestiegen wie befürchtet, der Euro ist noch etwas wert. Leider hat wenig von alldem etwas mit der schwarz-gelben Regierung zu tun. Man muss kein Anhänger einer großen Koalition sein, um zu sehen, dass Union und FDP von dem leben, was Merkel mit der SPD an Krisenmanagement geleistet hat.

Gauck bei der SPD-Fraktion

Der rot-grüne Präsidentschaftskandidat Joachim Gauck (m.) kehrt nach vier aufregenden Wahlkampfwochen zurück ins Leben. Bei der SPD - im Bild Fraktionschef Steinmeier (li.) und Parteivorsitzender Gabriel (re.) - macht sich langsam wieder Ernüchterung breit.

(Foto: dpa)

Deshalb dringt die Wunschkoalition auch nicht durch mit Behauptungen ihrer Verdienste, sondern nur mit hanebüchenen Entscheidungen zu Steuer-Entlastungen, die ein paar Monate später plötzlich von denselben Leuten als Fehler bezeichnet werden, die sie vorher vehement verteidigt haben. Ob diese Umkehr seinerzeit mit der geistig-politischen Wende gemeint war?

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums findet nicht zusammen, was womöglich auch gar nicht zusammengehört. Die Linkspartei beschwert sich zu Recht, dass SPD und Grüne ihr mit dem Kandidaten Joachim Gauck eine Vergangenheitsbewältigung im Schnellwaschgang abverlangten. Aber dieses Argument darf nicht davon ablenken, dass der zurückgetretene Partei- und Fraktionschef Oskar Lafontaine seit Mittwoch korrekterweise der zurückgekehrte Partei- und Fraktionschef heißen muss.

Und Lafontaine will eine rot-grün-rote Perspektive nur zu seinen Bedingungen, die eine neue Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik verlangen; anders gesagt: die völlige Unterwerfung von SPD und Grünen.

Vor allem die Sozialdemokraten stehen nach dem Rausch ziemlich ernüchtert da. Sie boten einen Kandidaten auf, der die rot-grüne Reformpolitik der Vergangenheit für richtig hält, und wollten ihn mit Hilfe der Linkspartei wählen lassen, die aus dem Widerstand gegen die Agenda 2010 entstanden ist. Sie boten einen Kandidaten auf, der den Afghanistan-Einsatz verteidigt, und wollten ihn mit der Partei ins Amt bringen, die gegen diesen Krieg ist. Kurz: Die SPD unterstützte Joachim Gauck, der von Freiheit in Verantwortung redet, und wollte ihn wählen lassen von einer Partei, die in großen Teilen noch Freiheit von Verantwortung präferiert.

Das Problem an dieser Widersprüchlichkeit: Die SPD selbst reicht derzeit von Gauck bis Gysi. In der politischen Alltagsarbeit wird sich das wieder zeigen in den nächsten Wochen.

Die vier Wochen Präsidentschaftswahlkampf waren ein Spiel ganz nach dem Geschmack von Sigmar Gabriel. Vieles an ihm ist nun gestärkt: sein Ruf als gewiefter Taktiker genauso wie mancher Zweifel an seiner Seriosität.

Joachim Gauck kehrt zurück ins Leben. Sigmar Gabriel bleibt nur die politische Laufbahn - und Angela Merkel die Erkenntnis, dass die Gefährlichkeit der eigenen Leute einstweilen noch größer ist als die des politischen Gegners.

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