Merkel:Warum jetzt?

Die Kanzlerin will nach Ankara fliegen, doch die Beziehungen sind massiv belastet, nachdem etwa 40 türkische NATO- Soldaten Asyl beantragt haben.

Von Stefan Braun

Eigentlich spricht viel dagegen, dass in diesen Tagen eine deutsche Kanzlerin nach Ankara reist. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist angespannt und schwierig. Trotzdem wird Angela Merkel am kommenden Donnerstag in die Türkei fliegen. Ihr Ziel: irgendwie die Beziehungen pflegen und das Flüchtlingsabkommen schützen. Es wird, so viel ist klar, eine ziemlich komplizierte Reise werden.

Da sind die etwa 40 zumeist hochrangigen türkischen Offiziere, die in Nato-Einrichtungen stationiert waren und nun offenbar in Deutschland Asyl beantragt haben; hinzu kommen die türkischen Diplomaten, die ebenfalls auf Schutz in der Bundesrepublik hoffen. Und dann sind da auch noch die türkischen Offiziere, die nach dem Putschversuch nach Griechenland flohen - und fürs Erste dort bleiben dürfen. Dass Ankara nun gedroht hat, das Flüchtlingsabkommen mit der EU zu kündigen, ist nicht ganz neu, ergänzt aber das Bild von einer ziemlich zerrütteten Beziehung. In Berlin macht sich auch zunehmend Entsetzen über den absoluten Machtanspruch des türkischen Präsidenten breit, der sich in einer rigiden Verhaftungswelle gegen Zigtausende Journalisten, Wissenschaftler, Beamte, Soldaten und Juristen manifestiert hat.

Wir müssen in dieser Situation doch gerade das Gespräch pflegen, heißt es in Berlin

Aus diesem Grund gibt es in Ankara und Berlin viele, die Merkels Reise nicht verstehen können. Sie könne nichts gewinnen, an keiner Stelle wirklich Pluspunkte sammeln, heißt es. Außerdem reise sie wie schon 2015 vor den Parlamentswahlen ausgerechnet vor einer wichtigen innertürkischen Abstimmung dorthin. Diesmal geht es um eine Volksabstimmung, mit deren Hilfe Erdoğan seine Macht ausbauen will.

Allerdings gibt es in Berlin, insbesondere unter Außenpolitikern in der Regierung, auch die gegenteilige Meinung. Sie plädieren dafür, dass es gerade jetzt wichtig sei, den Faden nicht abreißen zu lassen. Nein, so war in Regierungskreisen zu hören, es sei nicht zu erwarten, dass die Kanzlerin mit sichtbaren Erfolgen heimkehren wird. Aber die Türkei sei schlicht zu wichtig, um sich abzuwenden. Nicht zuletzt Solidarität und Unterstützung bei der Versorgung der circa drei Millionen Syrien-Flüchtlinge in der Türkei seien immer wieder und kontinuierlich nötig; auch das sei ein Bestandteil des Flüchtlingspaktes mit Ankara.

Dass Ankara nun mit dessen Aufkündigung droht, passt so gesehen fast ins Bild - und liefert einen weiteren Grund zu versuchen, auf Ankara mäßigend einzuwirken. ,,Wir können in so einer Situation doch gar nicht anders, als das Gespräch zu pflegen'', sagte ein Regierungsbeamter der SZ. Überdies sah der Reiseplan der Kanzlerin sowieso einen Flug ins östliche Mittelmeer vor. Am Tag nach der Visite in Ankara werden sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf Malta treffen. Auch dann werden das Verhältnis zur Türkei und das Flüchtlingsabkommen diskutiert werden - als Teil einer noch größeren Debatte über die Frage, wie sich Europa auf weitere Flüchtlingswellen vorbereiten soll. Angesichts dessen dürfte die Kanzlerin es zwar für denkbar unangenehm halten, dass ihr Besuch bei Erdoğan wieder in eine Art Wahlkampfphase fällt. Die Probleme aber seien einfach zu drängend und zu groß, heißt es in der Regierung. Deshalb müsse man den Vorwurf ,,Nicht jetzt!'' schlicht aushalten.

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