Merkel vs. Steinmeier:Eine Krankheit namens Duellitis

War was? Der Auftritt von Kanzlerin Merkel und Herausforderer Steinmeier machte klar: Solche "Duelle" könnten einfach ausfallen. Das Fernsehen nimmt sich selbst zu wichtig.

Hans-Jürgen Jakobs

Es war einmal vor 49 Jahren, dass sich in den USA erstmals zwei Politiker vor eine Kamera begaben und im Fernsehen darüber stritten, wer von ihnen künftig der bessere Präsident sei. Weil der eine - John F. Kennedy - dabei so unverschämt jugendlich herüberkam, der andere aber - Richard Nixon - unangenehm schwitzte, war das Rennen um das Weiße Haus entschieden.

Merkel vs. Steinmeier: Die Koalitionäre in einer "Duell"-Situation. Merkel und Steinmeier hatten wenig Lust, aufeinander verbal einzuprügeln.

Die Koalitionäre in einer "Duell"-Situation. Merkel und Steinmeier hatten wenig Lust, aufeinander verbal einzuprügeln.

(Foto: Foto: AP)

So geht die Legende. Alle Welt glaubt seitdem, dass "TV-Duelle" politische Wahlen entscheiden. Kommt ja nur auf den Kennedy-Faktor und die Schweiß-Frage an. In Deutschland lief am Sonntag die vierte Ausgabe dieses merkwürdigen Fernsehformats - und weil der Bundestagswahlkampf bislang so aufregend war wie ein Treffen im Trappistenkloster, hat die politische Klasse den Event geradezu mit Erwartungen überfrachtet.

Würde Herausforderer Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister, seiner Chefin Angela Merkel öffentlich die Freundschaft kündigen? Verspielt die Kanzlerin ihren Amtsbonus durch ein falsches Wort? Schwitzt einer von beiden? Verwechselt einer brutto mit netto?

Angefüttert mit solchen existenzialistischen Fragen sollte dieses "TV-Duell" der "mediale Höhepunkt" dieses Bundestagswahlkampfs werden und gab am Ende doch nur Zeugnis ab für eine ziemlich elende politische Debatte, bei der es kaum um Themen und politische Argumente ging, sondern eher um die eitle Selbstbehauptung von vier Journalisten, die den beiden vorgeblichen Kombattanten an den Stehpulten im Studio B des Berliner TV-Komplexes Adlershof auftragsgemäß zusetzen sollten. Nur 14 Millionen Menschen haben eingeschaltet - eingedenk der Tatsache, dass beim Duell vor vier Jahren zwischen Gerhard Schröder und Merkel satte 21 Millionen zugesehen haben, eine enttäuschende Quote. Die mühsame Dramaturgie begünstigte, was sie verhindern sollte: einen große Werbeeffekt für die große Koalition, deren Vorsteher zeitgleich auf ARD, ZDF, RTL und Sat 1 eine schöne Sendezeit von anderthalb Stunden bekamen.

90 Minuten - so lange dauert ein Spiel. Aber welches Spiel?

Die Berliner Realität fügte sich nicht recht in jenes Infotainment-Box-Konzept, wie es sich die Sender für diesen merkwürdigen Wahlkampf ausgedacht hatten, der bisher nicht recht in Gang gekommen ist und dem es an Themen zu mangeln scheint, obwohl es davon genügend gibt. Die eine, die Titelverteidigerin, kam zum Duell angeblich aus der "schwarzen Ecke", ihr Herausforderer aus der "roten" - das war die Idee der öffentlich-rechtlichen ARD.

Wie vor einem Boxkampf im Schwergewicht durften bei "Anne Will" Experten vor dem TV-Duell auf Sieg und Niederlage tippen. Edmund Stoiber, der CSU-Schlaustotterer des politischen Talks, erzählte noch einmal, wie schwer die letzten Minuten waren, bevor er im Jahr 2002 zum Duell mit Altkanzler Gerhard Schröder antrat.

Als die Befrager-Sendung mit Steinmeier und Merkel zu Ende war, setzte senderübergreifendes Schwadronieren ein. Experten erklärten, wer wirklich gesiegt habe. Das konnte mal Merkel, mal Steinmeier sein. Auch die Umfrageinstitute wollten die Sache klären, schließlich geht bei jedem richtigen Duell einer zu Boden - doch auch die Zuschauer hatten höchst unterschiedliche Favoriten. Das Ganze wirkte wichtig, entsetzlich wichtig, und war doch eher verwirrend und überflüssig. Womöglich hatte es sich nicht bis zu jedem TV-Chefredakteur herumgesprochen, dass an diesem Fernsehsonntag nicht gewählt, geschweige denn der künftige Kanzler bestimmt wurde.

Es arbeiteten sich einfach nur vier strapazierte Journalisten an zwei Spitzenpolitikern der amtierenden Koalition ab. Die konnten sich zu den großen Themen - Finanzkrise, Afghanistan, Opel - naturgemäß nur ziemlich einig sein; sie sind ja all die Zeit gemeinsam in Verantwortung gewesen. Wer will schon den Kollegen öffentlich madig machen?

Das Wahlvolk lernte an diesem Sonntag, dass die Koalition gut gearbeitet habe, dass alles aber noch ein wenig besser laufen könnte, wenn Merkel und Steinmeier eine Regierung in anderer Konstellation anführen würden. Schönfärberei ersetzte die Auseinandersetzung - und das Medium Fernsehen nahm sich vor lauter "Duellitis" kurzerhand selbst nur wichtig und nicht die Politik. Karawanen von Wissenschaftlern, Parteigängern und anderen Journalisten halfen dabei. Aber wer von den noch unentschlossenen Wählern wurde wirklich schlau, wo er am 27. September sein Kreuz machen muss?

Einige Erkenntnisse: Offenbar ist SPD-Kandidat Steinmeier doch nicht einfach nur der lebende Aktenschrank, als der er gemeinhin porträtiert wurde. Er langte an der ein oder anderen Stelle für seine Verhältnisse ziemlich hin, als es um soziale Gerechtigkeit hin. Der Anwärter stellte zum Beispiel Union und FDP als Spendenprofiteure hin, die von Industrie und Banken gut unterstützt würden. Das war fast Klassenkampf im Fernsehstudio! Oder wie er Merkel vorrechnete, Deutschland bräuchte neun Prozent Wachstum, damit die schwarz-gelben Steuersenkungspläne aufgehen könnten - das stellte absurdes Theater bloß.

Die Kanzlerin jedoch ließ sich von solchen Provokationen nicht aus der Ruhe bringen. Das Fernsehen braucht Emotion, aber eine Regierungschefin, die einen roten Kopf vor Kameras bekäme, würde nicht wiedergewählt. Nichts hasst der TV-Zuschauer mehr als unkontrollierte Aggression gegen den anderen. Angela Merkel zog den Mundwinkel nach unten, beließ es bei sanften Zurückweisungen und nutzte die internationale Bühne.

Sie musste nur einmal, so ganz nebenbei, andeuten, dass sie schon mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und dem britischen Premier über eine Gesetzeslösung gesprochen habe, und schon waren die Relationen klar. Hier die internationale Staatenlenkerin, am Wohl aller und wirklichen Lösungen interessiert, dort der Nörgler aus den eigenen Reihen, der mit der Linken nicht klarkomme. Im Übrigen ruft Merkel unaufhörlich Instant-Botschaften wie "Wachstum schafft Arbeitsplätze" ab.

Steinmeier und Merkel: authentisch in ihrer Harmlosigkeit

Dieses TV-Duell brachte die Enthüllung, dass sich Merkel und Steinmeier siezen, und dass auch ein Journalist wie Peter Kloeppel (RTL) sich das Recht ausbedingen kann, einmal ausreden zu dürfen. Ansonsten waren beide Kandidaten in ihrer Harmlosigkeit, aber auch in ihrer Isolation, vollauf authentisch.

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Nur mühsam konnten Kanzlerin und Vizekanzler offenbar ihr Misstrauen verbergen, dass die vier Interviewer der komplizierten Materie womöglich nicht gewachsen sind. Die Journalisten wollten im Ernst wissen, welche Schulnoten sich die Befragten geben, wer denn neuer Gesundheitsminister werde und wer in einer schwarz-gelben "Tigerentenkoalition" wohl Tiger, und wer Ente sei. Über solche Fragen kann man reden wie über den aktuellen Spielstand eines Fußballmatches oder über den Punktestand bei einem Box-Fight. Man kann es auch lassen.

Wenn einer technisch k. o. ging, dann die versammelte Runde der Spitzenmoderatoren des deutschen Fernsehens. Andererseits: Was hätte schon herauskommen können bei einer solchen Versuchsanordnung? Vier Journalisten, die nicht aufeinander eingespielt sind, können ein solches Kabinettsgespräch nicht stören.

Die wahren Sieger dieser Runde waren nicht Merkel und Steinmeier, auch wenn sich die Kanzlerin als Hüterin der "neuen sozialen Marktwirtschaft" und ihr Außenminister als Wahrer des Sozialen profilieren konnten. In Wahrheit profitierten am ehesten die Abwesenden, die drei Oppositionsparteien des Deutschen Bundestags. Sie freuen sich jetzt schon zum Teil über Prognosen deutlich jenseits der zehn Prozent.

Die Farce einer solchen Duellitis ist in vier Jahren verzichtbar. Es sollte in dieser Form einfach ersatzlos gestrichen werden. Vermutlich hätten auch Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier dagegen wenig einzuwenden.

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