Merkel und die Koalitionskrise:Königin gegen eine gefühlte Mehrheit

Angela Merkel ist als Kanzlerin und CDU-Chefin zwar nicht unumstritten, aber unangefochten. Ihre Koalition wird bis zur Bundestagswahl halten, auch wenn sie im Bundesrat und in der Bevölkerung keine Mehrheit mehr hat. Den Schröder wird sie jedenfalls nicht machen.

Kurt Kister

Angela Merkel widerfährt manchmal eine besondere Form der männlichen Häme, die oft nichts mit dem politischen Standort des Verhöhners zu tun hat. "Mutti" wird sie gelegentlich genannt, was sowohl eine indezente Anspielung auf ihre Körperformen als auch auf ihren angeblich prinzipienlosen, wenig entscheidungsfreudigen Politikstil ist.

Nun mag jeder für sich befinden, ob nicht zum Beispiel Sigmar Gabriel, unabhängig von seinem Geschlecht, dem imaginierten Phänotyp "Mutti" auch ganz gut entspricht. Oder wie steht es, was die Prinzipien angeht, um Horst Seehofer, den nicht einmal der um kein schiefes Sprachbild verlegene CSU-Generalsekretär Dobrindt als "Vati" bezeichnen würde?

Norbert Röttgen, vom Bundespräsidenten am Dienstag als Minister entlassen, wird nicht auf die Idee kommen, er sei im Kabinett mit Mütterlichkeit konfrontiert worden. Röttgen hat in mehrerlei Hinsicht verloren, und wenn man dafür nur eine Ursache nennen möchte, dann heißt die: Er war sich seiner selbst zu sicher. Er hat seine Fähigkeiten, die CDU in den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen zu führen, stark überschätzt. Er hat nach dem Desaster nicht überrissen, dass diese Niederlage ihn in Düsseldorf ebenso unmöglich machte wie im Kabinett, bei Merkel. Gewiss, auch Politiker können an Niederlagen wachsen. Röttgen aber wollte nach dem Debakel einfach weitermachen. Das wollte Merkel nicht.

Vielleicht hätte Röttgen eine Chance gehabt, wäre er, um Gerhard Schröder zu paraphrasieren, Minister für irgendein Gedöns gewesen - Entwicklung, Verbraucher oder Verkehr. Der Umweltminister aber steht für eines der beiden großen Themen, welche die Weltläufte der Kanzlerin in ihrer zweiten Regierungszeit aufgedrängt haben. Das eine ist die Schulden- und Eurokrise, in der als Galionsfiguren vorrangig Merkel und Schäuble agieren.

Als Minister für irgendein Gedöns hätte Röttgen eine Chance gehabt

Das zweite Thema ist die Energiewende. Hier hat sich Merkel, vielleicht auch wegen der Euro-Prioritäten, bisher wenig Ruhm erworben, sieht man einmal von dem nicht zuletzt die Union umstürzenden Ausstiegs-Beschluss nach Fukushima ab. Röttgen wiederum ist einem als der Mann mit dem weißen Bauhelm in Erinnerung, der mal hier in einem Salzstock, mal dort auf einer Tagung auftauchte. Aber er hat es nicht geschafft, seine eigene, für CDU-Verhältnisse fortschrittliche Position, die er vor Fukushima vertrat, so auf die Zeit nach Fukushima zu übertragen, dass man ihm zugetraut hätte, er könne den Umbau an vorderster Front managen.

Ohne das NRW-Desaster wäre Röttgen ein Geht-so-Minister mit anfänglichen Highlights geworden. Danach war er der Geht-nicht-mehr-Minister. Eingeweihte sagen übrigens, es habe schon vor der NRW-Wahl, als sich das Ausmaß von Röttgens Niederlage abzeichnete, deutliche Absetzbewegungen der Merkel-Leute gegeben - bis hin zu den in solchen Fällen bewährten vertraulichen Hinweisen an Journalisten.

Mit der Berufung von Peter Altmaier tut Merkel das, was Menschen gerne tun, die in Not geraten: Sie holt jemanden an den Tisch, dem sie vertraut. Merkel vertraut grundsätzlich eher wenigen, auch wenn sie zu vielen ein professionelles Verhältnis pflegt. Anders als bei ihrem Vorgänger Schröder hat das Misstrauen nichts mit der Dauer der Kanzlerschaft zu tun.

Merkel hat keinen Anlass an Neuwahlen nur zu denken

Schröders Selbstgewissheit und als Folge die Abstoßung alter Weggefährten wuchsen in jenem Maß, in dem seine Popularität in der SPD sank. Schröders Neuwahl-Entscheidung von 2005 hatte nicht nur mit der Lähmung im Bundesrat zu tun - die erfährt die schwarz-gelbe Koalition jetzt ebenfalls -, sondern auch mit seinem Gefühl, er müsse es nun den Grünen, den linken Sozialdemokraten und überhaupt allen, die gegen ihn sind, noch einmal richtig zeigen.

2005 ist nicht 2012, und Merkel ist keinesfalls Schröder. Ihr Zirkel war schon immer klein, und sie ist heute in ihrer doppelten Führungsrolle in Kanzleramt und Partei bei der CDU zwar nicht unumstritten, aber unangefochten. Ihrem Koalitionspartner FDP geht es ungleich schlechter, als es Schröders Koalitionspartner, den Grünen, 2005 ging. Darüber können auch die FDP-Strohfeuer in Kiel und Düsseldorf nicht hinwegtäuschen.

Merkel aber hat trotzdem keinen Anlass, an Neuwahlen auch nur zu denken. Ganz abgesehen davon, dass es keinen gerichtsfesten Grund gäbe, den Bundestag als Voraussetzung von Neuwahlen aufzulösen, könnte die Union dadurch nichts gewinnen, aber alles verlieren. Solange die FDP sich nicht völlig zerlegt, was sie nicht tun wird, bleibt die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag bis 2013 stabil. Nicht einmal Horst Seehofer, der ein koalitionspolitischer Borderliner ist, wird diesen Zustand aufs Spiel setzen.

Ein Jahr lang also wird Merkels Koalition gegen die Mehrheit des Bundesrats und gegen die Stimmung der gefühlten Mehrheit des Volks noch regieren. Was danach kommt, ist ungewiss. Für Rot-Grün wird es wahrscheinlich nicht reichen, es sei denn FDP und/oder Linke flögen aus dem Bundestag. Merkels Nachfolgerin könnte Angela Merkel heißen, wenn sie eine Neuauflage der großen Koalition schafft. Wenn nicht, wird wohl Thomas de Maizière, der in Nüchternheit und Stil eine Art Merkel männlich ist, die Union in den Wahlkampf 2017 führen.

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