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Merkel trifft Trump:Das öffentliche Kennenlernen hat begonnen

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Beim Besuch der Kanzlerin im Weißen Haus geht es um jede Geste und jeden Handschlag. Auch wenn sich Trump und Merkel Mühe geben: Der Beginn einer historischen Polit-Freundschaft lässt sich aus dem Auftritt nicht herauslesen.

Von Matthias Kolb, Washington

Bei jedem ersten Treffen geht es um Erwartungen. Das ist Vorstellungsgesprächen nicht anders als bei Dates oder Begegnungen von Spitzenpolitikern. Als die Kolonne an schwarzen Geländewagen um 11:39 Uhr vor dem Weißen Haus ankommt, sagt eine US-Reporterin: "Warum ist Merkel zu spät? Ihr Deutschen seid doch immer pünktlich." Vorurteile sind hartnäckig und die Spannung vor dem ersten Gespräch von Kanzlerin Merkel mit dem neuen US-Präsidenten ist hoch.

"Der leader der freien Welt trifft Donald Trump", hieß es etwa bei Politico. Da schwingt mehr als nur Erwartung mit: Es geht um die Hoffnung, dass die rationale und etwas langweilige Merkel den impulsiven Polit-Neuling Trump bändigt und Dinge wie Rechtsstaat, Freihandel und Meinungsfreiheit verteidigt. Gegen 11:50 Uhr schütteln sich beide am Eingang des Weißen Hauses die Hand, für wenige Sekunden, wie sorgfältig registriert wird. Seit der Republikaner vor acht Wochen seinen Amtseid ablegte, sind Tausende in aller Welt damit beschäftigt, jede Geste des Milliardärs zu interpretieren.

Und weil die beiden ihre Pressekonferenz mit 50 Minuten Verspätung beginnen, diskutieren Journalisten ebenso wie die Menschheit der sozialen Medien intensiv über einen anderen Handschlag - nämlich jenen, den es nie gab. Nach einem zwanzigminütigen Vier-Augen-Gespräch betreten einige Reporter das Oval Office. Merkel und Trump sitzen auf gelben Sesseln, dann ruft ein Fotograf: "Kriegen wir einen Handschlag?" Die Kanzlerin wendet sich an Trump: "Sollen wir uns die Hände schütteln?" Doch der US-Präsident reagiert nicht, sondern blickt stur nach vorn. Merkel wartet einige Sekunden, lächelt und schaut wieder nach vorne.

Wie man diese Szene wertet, verrät viel über den Blick auf den US-Präsidenten. Es sei ein Affront gewesen, Merkel habe "peinlich berührt" geguckt, sagen die einen. Andere meinen, dass Trump das Briefing ernst genommen habe: Die Kanzlerin sei nicht "touchy" und man wollte weitere Debatten über Trumps Händeschütteln vermeiden. Eines zeigen die Bilder aber doch: Während die Kanzlerin im zwölften Amtsjahr alles weglächelt, wirkt Trump viel angespannter, seine Hände können nicht still halten.

Während der Pressekonferenz im East Room wird dieser Unterschied dann noch deutlicher. Trump liest zu Beginn in seiner Erklärung vor, dass sich die "enge Freundschaft" zwischen Deutschland und den USA auf Werten gründe, "die wir teilen". Das ist einerseits eine Binsenweisheit, andererseits ein Konter auf Merkels Reaktion auf Trumps Wahlsieg, die ihm eine Zusammenarbeit auf Basis von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Schutz von Minderheiten angeboten hatte.

Die Kanzlerin formuliert gewohnt diplomatisch-verschwurbelt, dankt den USA für die vergangene Unterstützung (Marshall-Plan, Wiedervereinigung) und betont, dass dieses Treffen dem Kennenlernen dienen solle. Es folgt ein Motto, das sie für den wegen Schneesturms verschobenen Kurztrip ausgegeben hat: Es sei besser, "miteinander zu reden als übereinander".

Nun stehen Trump und Merkel also nebeneinander, doch die Differenzen im Stil und in den Inhalten werden deutlich. Der US-Präsident bekennt sich zwar zur Nato, doch er fordert klar, dass Deutschland mehr für Verteidigung ausgibt. Als eine deutsche Journalistin von Trump wissen will, ob seine isolationistische Politik nicht gefährlich für die EU sein könnte und wieso er so oft Dinge behaupte, die nicht belegbar seien, kann sich Trump nicht zurückhalten. "Darf ich zuerst antworten?", fragt er die Kanzlerin und fügt süffisant an: "Was für eine nette, freundliche Reporterin!"

Diese Frage sei ein Beleg für die Fake News, über die er sich stets beklage, legt er los. "Ich bin kein Isolationist, ich bin für Freihandel", sagte Trump. "Aber die USA sind von vielen Ländern sehr unfair behandelt worden." An seinem Slogan "America First" hält der 70-Jährige natürlich fest. Ein Erfolg für Deutschland müsse immer auch einen Erfolg für die Europäische Integration und Gemeinschaft bedeuten, sagt hingegen Merkel.

Dass der Besuch der Kanzlerin in den US-Medien nicht das wichtigste Thema ist, zeigt die erste Frage eines amerikanischen Reporters. Der als unkritisch geltende Mark Halperin, der gerade eine Doku über Trump für den Pay-TV-Sender Showtime dreht, fragt nach der Gesundheitsreform: Der Präsident kommt nicht voran in seinem Vorhaben, Obamacare durch etwas "Großartiges" zu ersetzen. Trump rettet sich in Allgemeinplätze und Merkel erklärt auf Halperins Frage nach Trumps Stil, dass Menschen eben unterschiedlich seien.

Ausgerechnet ein deutscher Reporter fragt dann nach Trumps Abhörvorwürfen: Seit zwei Wochen behauptet er, Vorgänger Obama habe ihn überwachen lassen und die Briten hätten Obama geholfen. Der US-Präsident, der den mächtigsten Geheimdiensten der Welt jede Anweisung geben kann, redet sich heraus: Er habe die britische Tangente nicht behauptet, sondern ein renommierter Experte des TV-Senders Fox News. Man solle dort nachfragen.

Und dann kommt ein in seiner Mischung aus Schlagfertigkeit und Unverfrorenheit klassischer Trump-Moment. Er sei überzeugt, dass er und Merkel bei diesem Thema etwas gemeinsam hatten, sagt der 70-Jährige und grinst. Es dauert einige Sekunden, bis die ersten ungläubigen Lacher kommen: Der Republikaner spielt darauf an, dass die NSA bis 2013 Merkels Handy abhörte - also während er Präsidentschaft von Barack Obama.

Merkel geht es um die Interessen der deutschen Industrie

Doch natürlich geht es vor allem um die Wirtschaft. Aufschlussreich ist, wen die beiden an prominenter Stelle platzieren: Trump umgibt sich mit der Familie, Merkel mit Wirtschaftsbossen. Während auf Trumps Seite des Pults in der ersten Reihe Tochter Ivanka, Schwiegersohn Jared Kushner und Vize Mike Pence sitzen, nehmen gegenüber Joe Kaeser, Harald Krüger und Klaus Rosenfeld Platz. Sie vertreten mit Siemens, BMW und Schaeffler drei große deutschen Firmen, die viele Jobs in den USA geschaffen haben - und für die mögliche Importzölle unangenehme Folgen hätten.

Sollte es mögliche Annäherungen gegeben haben, wird die deutsche Delegation Vorsicht walten lassen, sie sofort allzu ernst zu nehmen - Gründe für Zweifel an der Verlässlichkeit des US-Präsidenten gibt es viele. Bisher gibt es genügend Beispiele dafür, dass Trump im persönlichen Gespräch nicht nur charmant sein kann: Er möchte auch gern seinem Gegenüber gefallen. "Er vertritt die Meinung der Person, mit der er zuletzt gesprochen hat", heißt es oft in Washington - und von Chefberater Steve Bannon, der ebenfalls per Kopfhörer Merkels Worten in Übersetzung lauschte, ist bekannt, dass er die deutschen Exportüberschüsse sehr kritisch sieht.

Wer ernsthaft von diesem ersten Kennenlernen erwartet hatte, dass Angela Merkel den dritten US-Präsidenten ihrer Amtszeit sofort für sich einnehmen kann, der dürfte wohl enttäuscht werden. Während sich die Bundeskanzlerin auf den Rückweg nach Berlin vorbereitet, steigt auch Donald Trump in ein Flugzeug: Die Air Force One bringt ihn in seinen Privatklub Mar-A-Lago in Florida, von wo aus Trump am allerliebsten und aus der Hüfte heraus twittert.

Der Termin für das nächste Treffen zwischen den mächtigsten Politikern des Westens steht schon fest, wie Merkel vom Podium aus sagte. Sie freue sich, dass Trump Anfang Juli zum G-20-Gipfel nach Hamburg kommen werde. Auch diese Zusammenkunft würde mit Spannung erwartet werden.

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