Merkel trifft im Bundestag auf Herausforderer:Steinbrück probt Kanzler

Es hat gewaltig gekracht beim ersten direkten Aufeinandertreffen zwischen Kanzlerin und Herausforderer im Bundestag, einen klaren Sieger gibt es allerdings nicht. Mit großem Engagement arbeiten sich Angela Merkel und SPD-Kandidat Peer Steinbrück beim Thema Euro-Krise aneinander ab. Sie gibt die Erklärkanzlerin, Steinbrück wählt sogar schon die "nukleare Option."

Jannis Brühl, Berlin, und Sebastian Gierke

So viel demonstratives Desinteresse ist selbst dem Bundestagspräsidenten zu viel: Norbert Lammert ermahnt Siegfried Kauder und andere CDU-Politiker, doch bitte den Kreis um Angela Merkel aufzulösen, während Gregor Gysi redet: "Ich bitte darum, die Sitzordnung auf der Regierungsbank einzuhalten", sagt Lammert.

Die Abgeordneten verkrümeln sich wieder zu ihren Bänken auf der anderen Seite des Plenums. Linken-Fraktionschef Gysi wendet sich an Merkel: "Frau Bundeskanzlerin, wenn zu Ihrer Rede eine Aussprache stattfindet, sollte man ab und zu auch mal zuhören und nicht so eine Arroganz an den Tag legen."

Die Kanzlerin beschäftigt sich an diesem Tag mit vielem: Dokumente lesen, mit Vizekanzler Philipp Rösler schäkern, aufstehen, um sich mit ihrem Kanzleramtsminister abzustimmen. Für Gysi und die anderen Redner, die an diesem Morgen auf ihre Regierungserklärung antworten, interessiert sich Merkel allerdings nicht. Nur Peer Steinbrück, dem hat sie aufmerksam zugehört.

Ihren Herausforderer nimmt sie offenbar ernst. Zum ersten Mal seit seiner Inthronisierung als SPD-Kanzlerkandidat trifft der Herausforderer direkt auf seine Gegnerin. Die Frage ist: Schaltet er schon jetzt in den Wahlkampfmodus? Geht er die Kanzlerin frontal an? Wie kann das überhaupt gelingen? Beim Thema Griechenland liegen Steinbrück und Merkel zum Teil näher beieinander als Merkel und ihr Koalitionspartner, die FDP.

Steinbrück löst dieses Problem auf seine Weise. "Nukleare Option" nennen die Amerikaner ein aggressives Mittel, das man sich für den Notfall aufbewahrt. Steinbrück greift schon bei seinem ersten Duell mit Merkel zu einer solchen Option. Weil die Koalition sich nach den Rauswurf-Drohungen der CSU mittlerweile klar zu Griechenland bekennt, ruft der Kanzlerkandidat: "Wo war ihr zweites Fukushima, dass es zu dieser 180-Grad-Wendung kam?" Da geht ein Raunen durch den Saal: Ein FDP-Politiker ruft: "Jetzt wird's aber unterirdisch."

Steinbrück versucht sich an einer Gratwanderung: Einerseits muss er angreifen, Unterschiede zu Schwarz-Gelb herausarbeiten, selbst da, wo diese gar nicht so gewaltig sind. Andererseits will er aber offensichtlich auch nicht zu aggressiv wirken. Er probt schon mal Kanzler, hat sich wohl auch ein bisschen was bei Merkel abgeschaut.

Die hatte zuvor in ihrer Regierungserklärung die Erklärkanzlerin gegeben. Engagiert, aber auch staatstragend, fast präsidial gab sie einen Überblick darüber, wo Europa im Moment steht. Sie freute sich über den Friedensnobelpreis für die EU, ermahnte die Griechen, lobte sie aber auch. Und blickte dann in die Zukunft.

Im Dezember soll es nach dem Willen der Bundeskanzlerin weitreichende Entscheidungen über eine sehr viel engere Zusammenarbeit in der Finanz-, Fiskal- und Wirtschaftspolitik geben - inklusive neuer EU-Eingriffsrechte. "Ohne Zweifel, die Schritte werden zu einer neuen Qualität der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in der Euro-Zone und darüber hinaus führen", sagt Merkel.

Den Widerstand aus anderen EU-Staaten gegen mehr EU-Kompetenzen spielt sie herunter. "Ich sage Ihnen, wir werden vorankommen und zwar genau in dem von mir beschriebenen Sinn."

Merkel stellt sich damit ausdrücklich hinter die Vorschläge von Finanzminister Wolfgang Schäuble und fordert ebenfalls einen starken EU-Währungskommissar mit Eingriffsrechten in nationale Haushalte, falls sich Länder nicht an ihre Stabilitätsvorgaben halten.

"Die Felder der engeren Zusammenarbeit sollten wir bis Dezember identifizieren." Denn auf einem weiteren EU-Gipfel solle auch ein klarer Zeitplan beschlossen werden. Auf dem Gipfel am Donnerstag und Freitag würden dagegen keine Beschlüsse gefasst.

"Mobbing gegen Griechenland"

Merkel schlägt zudem als neues Element der Solidarität einen Fonds vor, aus dem zeitlich befristet und projektbezogen Fördergeld für Reformen in den EU-Staaten ausgezahlt werden könne. Dieser Topf solle aber nicht nur den Euro-Staaten offenstehen, sondern allen Regierungen, die verbindliche Reformvereinbarungen mit der EU-Kommission schlössen. Sie wolle keine Spaltung der EU.

Für den größten Lacher im Plenum sorgt die Kanzlerin auch: "Er heißt in Griechenland 'Fuchtelos'. Ich finde, das ist ein schöner Name für seine Arbeit", sagt sie über den Staatssekretär im Arbeitsministerium, Hans-Joachim Fuchtel, der in Griechenland vor allem wegen seines Engagements um neue deutsch-griechische Städtepartnerschaften bekanntgeworden ist.

Während der Rede der Kanzlerin macht sich Peer Steinbrück immer wieder Notizen. Immer wieder blickt der Herausforderer hoch zum Rednerpult, fast ein wenig ungläubig. Wo soll er da noch Angriffspunkte finden? Vieles von dem, was Merkel vorträgt, will auch die SPD. Und so bleibt Steinbrück nichts anderes übrig, als das Vorgehen der Koalition zu kritisieren.

Steinbrück wirft Merkel vor, die Bürger über die Folgen der Euro-Krise im Unklaren zu lassen. Die Kanzlerin hätte ihr Bekenntnis zum Verbleib Griechenlands im Euro schon vor zwei Jahren abgeben müssen. Stattdessen habe sie die Krise für "innenpolitische Händel" missbraucht und Vertreter ihrer Koalition beim "Mobbing gegen Griechenland" gewähren lassen.

Die Zustimmung der SPD "zu wahrscheinlich notwendigen weiteren Rettungspaketen" macht Steinbrück davon abhängig, dass Merkel Antworten etwa darauf gebe, wie eine positive Dynamik für ein Europa geschaffen werden solle, das weiterhin zusammenstehe und zusammenhalte.

"Selten war Deutschland in Europa so isoliert wie heute", ruft Steinbrück. Und erntet lautstarken Protest aus den Regierungsfraktionen. Doch der Kanzlerkandidat lässt sich nicht beirren: Europa dürfe nicht nur am Wert seiner Zinssätze gemessen werden. Und Deutschland müsse im Konzert mit anderen europäischen Staaten mit Blick auf Griechenland weitere Verpflichtungen übernehmen. Steinbrück spricht seine Gegnerin direkt an: "Sagen Sie es endlich, sagen Sie es endlich den Menschen" fordert er die Kanzlerin auf.

Auch das Bekenntnis Merkels zum Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone komme spät. "Warum, Frau Bundeskanzlerin, haben Sie ein solches Bekenntnis nicht im Sommer 2010 abgegeben?", fragt Steinbrück. Europa sei "weit mehr als ein Wechselbalg der Ratingagenturen".

Die SPD hat Steinbrück ihre gesamte Redezeit für seine Antwort auf Merkel gegeben. 27 Minuten spricht er. Immer wieder rückt er das Thema Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Nur mit einem "sozial gerechten Europa", einem Europa der Chancen für alle, ließen sich die Erfahrungen der Regierenden wieder in Übereinstimmung mit den Erfahrungen der Regierten bringen. "Ihre Politik der letzten zwei Jahre und auch Ihre heutige Rede ist dem nicht gerecht geworden", schließt Steinbrück.

Mit Material von Reuters.

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