Merkel, Steinmeier und Russland:Guter Bulle, böser Bulle

Steinmeier, Merkel

Russland-Strategie der großen Koalition: Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

(Foto: Odd Andersen/AFP)

Schwelt in der großen Koalition ein Streit über die Russland-Strategie? Während Kanzlerin Merkel Putin harsch tadelt, gibt sich Außenminister Steinmeier versöhnlich. Doch der Eindruck täuscht. Und sollten beide doch sauer sein, dann auf einen dritten.

Analyse von Stefan Braun und Nico Fried, Berlin

In der Politik gibt es unterschiedliche Formen von Dementis. Es gibt das vorsichtige ("so kann man das nicht sagen"), es gibt das bestimmte ("da ist nichts dran"), und es gibt das vehemente ("Blödsinn! Quatsch! Frei erfunden!"). Die Sprecher der Bundesregierung wählten am Montag entschlossen die Stufen zweieinhalb und drei, als sie gefragt wurden, wie groß die Differenzen zwischen Kanzlerin und Außenminister in der Russland-Politik denn nun seien. Das ganze Wochenende über war darüber spekuliert worden. Also wollten sie am Montag dagegenhalten.

Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert sagte, er werde "nicht müde, die Wahrheit zu betonen", dass sich Kanzlerin und Außenminister von Beginn der Ukraine-Krise an abgestimmt und ihre Handlungen aufeinander aufgebaut hätten. "Die Bundesregierung regiert aus einem Guss", betonte Seibert. Sawsan Chebli, Steinmeiers Sprecherin, unterlegte dies mit der unmissverständlichen Botschaft, alles, was an Zwist oder Unstimmigkeiten hineininterpretiert werde, sei "an den Haaren herbeigezogen" und "absoluter Unsinn".

Nun muss das nicht stimmen. Manchmal soll harter Widerspruch dazu dienen, längst vorhandenen Rauch mit einem Wortschwall zuzuschütten. In diesem Fall spricht jedoch viel dafür, dass die These, Merkel und Steinmeier lägen in der Russland-Politik über Kreuz, falsch ist. Und das, obwohl unterschiedliche Tonlagen - mal in Hintergrundgesprächen, mal in öffentlichen Auftritten - auf den ersten Blick einen anderen Eindruck erwecken.

Es war die zeitliche Abfolge der Auftritte, die den fatalen Eindruck erweckte

Bislang stärkstes Beispiel dafür: Die Auftritte von Merkel in Australien und von Steinmeier in Brüssel, alle Anfang der vergangenen Woche. Während Merkel nach einem Vier-Stunden-Gespräch mit Putin eine sehr harsche Rede hinlegte, präsentierte sich Steinmeier in Brüssel betont konziliant. Der Auftritt der Kanzlerin wurde als Beleg dafür gewertet, dass sie es offenbar satt habe, von Putin immer wieder Zusagen zu erhalten, die am Ende jedesmal nicht eingehalten würden. Und Steinmeiers Auftreten wurde als Einspruch gegen Merkels Linie gelesen, weil er quasi zur gleichen Zeit eine andere Botschaft Richtung Moskau gesandt hatte.

Kein Zweifel: Was die öffentliche Wirkung betrifft, ist das nicht optimal gelaufen. Allerdings bestehen die Beteiligten darauf, dass sich die beiden auch über eine Distanz von gut 20 000 Kilometern telefonisch zumindest in der Sache abgestimmt hatten. Dazu passt, dass Merkel in den Gesprächen mit Putin und zeitweise auch mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jene Idee lancierte, die Steinmeier zuvor über die Welt am Sonntag publik gemacht hatte. Die Idee, dass man im Verhältnis zwischen Russland und der EU auch neue Gesprächsforen ausprobieren könne, um aus der gegenwärtigen Lähmung herauszufinden.

Tadelte der Minister seine Kanzlerin?

Der deutsche Außenminister hatte als Beispiel die Begegnung von Vertretern der EU mit der Eurasischen Zollunion "auf Augenhöhe" vorgeschlagen. Dass Merkel Ähnliches in Brisbane vortrug, erschien wie ein Entgegenkommen gegenüber Putin, weil dieser sich, so wurde es nach dem Treffen berichtet, auch bei Merkel wieder über die Nato als angebliche Bedrohung Russlands in Rage geredet hatte. Ähnlich konnte man auch die Einbeziehung Junckers bewerten. Der ehemalige Luxemburger Ministerpräsident kennt Putin seit vielen Jahren und gilt als wesentlich konzilianter im Vergleich zu seinem Vorgänger José Manuel Barroso, dessen Verhältnis zu Putin am Ende zerrüttet war.

Wirklich problematisch war nur, dass die reine Abfolge der Auftritte und Äußerungen den Anschein erweckt hatten, Steinmeier habe Merkel regelrecht widersprochen. Am Montagmorgen in Sydney (in Europa war es noch später Abend) hatte Merkel jene Rede gehalten, die als verschärfte Gangart gegenüber Putin gewertet wurde. Das Völkerrecht werde mit Füßen getreten, so die Kanzlerin, es drohe ein Flächenbrand, und es stelle sich die Frage, ob nun bei jeder Annäherung eines Staats an Europa zuerst in Moskau um Erlaubnis gefragt werden müsse. Die Nachrichten über die Rede bestimmten in Deutschland die Morgennachrichten. Und als Steinmeier dann in Brüssel mahnte, manche sollten sich mit Äußerungen über Russland zügeln, musste es so aussehen, als tadele der Außenminister seine Regierungschefin.

Manchmal tritt der eine, dann wieder der andere etwas harscher oder freundlicher auf

Steinmeier bemüht sich seitdem darum, diesem Eindruck entgegenzutreten. Seine Worte hätten nicht Merkel gegolten, sondern anderen Regierungschefs in Brisbane, zum Beispiel dem kanadischen Ministerpräsidenten Stephen Harper. Dieser hatte Putin zwar die Hand gegeben, aber nach eigenen Worten nur, um ihm ins Gesicht zu sagen, dass er sich aus der Ukraine zurückziehen müsse. Putins Replik: Er könne sich nicht aus der Ukraine zurückziehen, weil er gar nicht drin sei.

Eine Woche und ein debattenreiches Wochenende später sind es nicht nur Seibert und Chebli, sondern auch engste Mitarbeiter Merkels und Steinmeiers, die allen Thesen, hier gebe es schwere Konflikte, entschieden widersprechen. Ob Kanzleramt, ob Auswärtiges Amt - in beiden Häusern heißt es, dass es in den am Ende entscheidenden Fragen, also in der Analyse der Lage in der Ostukraine, in der Bewertung der Ursachen für die Krise und in der Zielsetzung keinerlei Unterschiede gebe. Eingeräumt wird, dass - manchmal dem unterschiedlichen Naturell, manchmal der gerade unterschiedlichen Stimmungslage geschuldet - mal der eine und mal der andere etwas harscher oder freundlicher auftrete. Außerdem, und das ist sehr ähnlich von beiden Seiten zu hören, komme es beiden durchaus zupass, "wenn der eine mal laut auf den Tisch haut und der andere sich drum kümmert, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen". Es sei nicht immer abgesprochen, aber ein Auftritt mit verteilten Rollen sei kein Schaden. Zumal die russische Führung mit dem harschen Putin und dem gerne öffentlich Witze reißenden Lawrow Vergleichbares versuche.

Sollte es in der Koalition intern Ärger geben, dann richtet sich der derzeit gegen einen Dritten: Horst Seehofer. Dessen "Gerede" über interne Konflikte sei "unverantwortlich", heißt es in der Regierung. Denn: Er schüre mit solchen falschen Behauptungen genau das, was Moskau sich wünsche, aber bis heute nicht erreicht habe: Streit.

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