Deutschland in der EU:Was Merkels Rückzug für Europa bedeutet

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Dass Angela Merkel jahrelang bestens vorbereitet auftrat, hat ihr in Brüssel stets viel Respekt und Anerkennung beschert. (Foto: dpa)

Die Machtbalance in der EU verändert sich durch Merkels Abschied auf Raten. Wer auch immer ihr an der CDU-Spitze und im Kanzleramt nachfolgt, muss dafür sorgen, dass Berlin drei Dinge einbringt.

Kommentar von Matthias Kolb, Brüssel

Als Angela Merkel das erste Mal als Kanzlerin zu einem EU-Gipfel fuhr, wurde erbittert um den neuen Haushalt gestritten. Mitte Dezember 2005 war das, als Ratspräsident kämpfte Tony Blair um den Briten-Rabatt, die neuen Mitglieder aus Osteuropa wollten mehr Geld und Merkel schlüpfte in jene Rolle, die sie in Brüssel und auf der Weltbühne am liebsten übernahm: die der Maklerin. Am frühen Morgen stand der Deal: weil Merkel zugunsten von Polen auf 100 Millionen Euro verzichtet hatte.

Tony Blair, der Franzose Jacques Chirac oder Wolfgang Schüssel aus Österreich: Die Namen von Merkels damaligen Verhandlungspartnern machen deutlich, wie lang die Noch-CDU-Chefin auf höchster Ebene dabei ist und welche Bedeutung ihr Rückzug auf Raten für die Machtbalance in Europa haben wird. Gewiss: Als größte Volkswirtschaft der EU ist Deutschland stets dominant und es geht nur wenig voran, wenn die Berliner Regierung abgelenkt ist.

Daraus erwächst enorme Verantwortung und dieser Tatsache müssen sich die Deutschen im Allgemeinen und die Delegierten des Hamburger CDU-Parteitags im Besonderen endlich bewusst werden. Denn wer immer Merkel an der Spitze der Partei der großen Europäer Konrad Adenauer und Helmut Kohl nachfolgt und damit potenziell der achte Kanzler oder die zweite Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik wird, hat großen Einfluss auf die Zukunft des Friedensprojekts EU.

Die Zeiten sind stürmisch angesichts von Brexit, dem Konflikt mit der Regierung in Rom über das Budget und den wachsenden Erfolgen der Anti-EU-Populisten. Bei der Europawahl im Mai 2019 geht es um alles und man kann nur hoffen, dass die Nur-Kanzlerin Merkel und ihr neuer Partner als CDU-Chef gut zusammenarbeiten und klarmachen, was für Deutschland auf dem Spiel steht. Was Berlin einbringen muss, sind drei Dinge: Mut, Solidarität und Bescheidenheit.

Deutschland kann sich Solidarität leisten

Es braucht den Mut, mit Leidenschaft für die Europäische Union zu werben. Es braucht den Mut, den Bürgern ehrlich zu sagen, dass Deutschland bereits Souveränität abgegeben hat, damit gut gefahren ist und das größte Interesse am Erfolg der Partner-Staaten hat. Man muss die Euro-Zone voranbringen und der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, dass die jetzigen Regeln die bestehenden Ungleichheiten nur verstärken und mehr Umverteilung nötig ist.

Dies würde beweisen, dass das boomende Deutschland solidarisch ist und den Partnern hilft. Als sich Merkel Ende 2005 großzügig gegenüber Warschau zeigte, lag die deutsche Arbeitslosigkeit bei knapp zwölf Prozent. Heute, bei unter fünf Prozent Arbeitslosigkeit, kann sich das Land Solidarität erst Recht leisten und deswegen wäre es so wichtig, die Impulse aus Paris aufzunehmen. Genau dies ist in den vergangenen 18 Monaten zu wenig geschehen, weil Angela Merkel zunächst Wahlkampf machen, eine Koalition bilden und dann den Bruch der Regierung verhindern musste. Emmanuel Macron hat Antworten auf seine Vorschläge verdient.

Dass Angela Merkel jahrelang nüchtern und bestens vorbereitet auftrat, hat ihr in Brüssel stets viel Respekt und Anerkennung beschert. Mit ihr tritt spätestens 2021 eine Politikerin ab, die auf Augenhöhe mit den Präsidenten Xi, Trump und Putin sprechen konnte und stets die Position der EU mitvertrat. Es wird dauern, bis ihr Nachfolger dieses Standing erreicht hat. Merkel trat persönlich bescheiden auf, doch es wäre viel gewonnen, wenn schon die neue CDU-Parteispitze mehr Zeit damit verbringen würde, den Partnern im Osten und im Süden zuzuhören und deren Perspektiven mehr zu berücksichtigen. Auch jene Politiker dort, die Merkel kritisch sehen und ihre Politik mit Sparauflagen verbinden, werden ihrem Nachfolger eine Chance geben. Denn Deutschland ist wichtig für Europa.

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