Süddeutsche Zeitung

Regierungsbefragung:Auch egal, machen wir weiter

Ziemlich lässig und ohne viel Leidenschaft lässt Kanzlerin Merkel sich von den Abgeordneten befragen. Überraschendes lässt sie sich nicht entlocken - außer einem erstaunlichen Lob für einen Minister.

Von Stefan Braun, Berlin

Spannung? Unruhe? Gar ein Spektakel? Was beim ersten Mal noch größte Aufmerksamkeit erregte, ist am Mittwoch vor Weihnachten in ziemlich viel Routine verschwunden. Wieder einmal tritt die Kanzlerin vor die Abgeordneten, um sich befragen zu lassen - und gekommen ist nicht mal die Hälfte aus allen Fraktionen. So schnell kann ein Reiz verfliegen. Als Angela Merkel beginnt, ist wenig geblieben von jener Premiere, die vor zwei Jahren noch sehr viele sehr aufregte. Ganz so als sei es der Meisterin der trockenen Analyse gelungen, auch dieses Format in Besitz zu nehmen.

Der allgemeine Eindruck

Angela Merkel hat sich in ihrer Rolle bei dieser Art Befragung ziemlich gemütlich eingerichtet. Man sollte zwar nicht glauben, dass sie dieses Format schon ins Herz geschlossen hätte. Aber sie wird es nicht mehr fürchten. Recht lässig steht die Kanzlerin am Mittwoch im Plenum. Als sechzig Minuten vorbei sind, fragt sie kurz, wie lange es noch gehe. Aber da prompt die nächste Frage kommt, zuckt sie einfach mit den Schultern, lächelt und signalisiert: auch egal, machen wir weiter.

Der stärkste Moment

Er wird nicht von einer besonders cleveren Fragestellerin provoziert, sondern vom Sitzungsleiter. Wolfgang Schäuble, der Bundestagspräsident, gibt an diesem Mittwoch einen strengen Chef über das Procedere - und stoppt schon die zweite Fragestellerin, weil ihre Frage zu lange dauert. Ein paar Minuten später erklärt er, bei der Kanzlerin werde er vielleicht etwas großzügiger auf die Uhr schauen. Merkel aber freut sich nicht über das Angebot. Sie winkt ab, will keinen Vorteil haben. Keine Frage, das kommt gut an.

Der schwächste Augenblick

Er geht auf den Linken-Abgeordneten Fabio de Masi zurück. Er fragt Merkel, wie sie es der Verkäuferin, die einst wegen eines Pfandbons entlassen wurde, eigentlich erklären wolle, dass Verkehrsminister Andreas Scheuer trotz seines Umgangs mit der vermaledeiten Pkw-Maut immer noch im Amt sei. Merkel antwortet doppeldeutig. Erst gibt sie sich froh, dass alle offenen Fragen nun von einem Untersuchungsausschuss geprüft würden. Doch weil das mancher schon als leise Distanzierung verstehen könnte, fügt sie einen Satz an, der ihr noch weh tun könnte: "Ich finde, dass der Andy Scheuer eine sehr gute Arbeit macht."

In dem Augenblick schmunzeln selbst Unionsabgeordnete. Sie kommt vom FDP-Abgeordneten Christian Dürr und bezieht sich auf die ausgeweitete Kassenbon-Pflicht in den Läden. Dürr kann in aller Ruhe die Bedenken des Wirtschaftsministers Peter Altmaier zitieren und dann auch noch daran erinnern, dass Altmaier doch der gleichen Partei wie die Kanzlerin angehöre. Das Thema regt viele auf. Dürr hat leichtes Spiel, um Beifall zu ernten. Und doch hält Merkel dagegen. Sie zweifelt an, ob tatsächlich so viel Papier verbraucht werde, wie nun manche vorrechneten. Zudem erinnert sie daran, dass das Gesetz vor drei Jahren beschlossen wurde. Vor allem aber sagt sie, dass sie über Ausnahmen erst mit sich reden lassen werde, wenn alle verstanden hätten, dass Steuerhinterziehung bei der Mehrwertsteuer alles andere als okay sei. Wie Dürr erntet auch sie viel Beifall.

Die ausweichendste Antwort

Sie kommt auf die Frage des Grünen-Abgeordneten Oliver Kriescher. Er begrüßt zunächst Merkels Erklärung, sie stehe zum neuen Ziel der EU, bis 2030 etwa 50 bis 55 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzielen. Dann aber fragt er, wie das zum gerade beschlossenen Klimapaket der Bundesregierung passe. Seine Botschaft: Sollte die Kanzlerin es ernst meinen, müsse Deutschland schon im nächsten Jahr ein neues, viel härteres Klimapaket beschließen: "Sehen Sie das genauso?" Merkel bleibt vage. Ihre Antwort: Deutschland stehe ziemlich gut da, wenn man es mit anderen in der EU vergleiche. Jetzt gehe es um das Ziel, dass alle so schnell wie Deutschland vorangingen. Kein Wort über sich selbst, dafür viele über all die anderen.

Die wichtigste Nachricht

Sie gibt es möglicherweise mit Blick auf gut 5000 minderjährige Flüchtlinge, die derzeit in den überfüllten Lagern in Griechenland auf Hilfe warten. Mehrfach fragt die Grünen-Abgeordnete Luise Amtsberg, ob Merkel sich eine Aufnahme dieser Menschen vorstellen könne. Zunächst spricht die Kanzlerin nur von einem intensiven Austausch mit der griechischen Regierung. Dann aber fügt sie noch an, auch zu der gestellten Frage würden Gespräche und Überlegungen laufen. Das ist keine Zusage, allenfalls eine Andeutung. Aber es ist auch kein offenes Nein.

Der aggressivste Moment

Den liefert nicht zum ersten Mal der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio. Er nimmt die tödliche Attacke von Augsburg, spricht davon, dass dies ein spontaner Gewaltausbruch von Migranten gewesen sei, und fragt Merkel, ob sie sich für all das eine Mitschuld gebe. Merkels Antwort ist, wie sie auf Curios Angriffe immer ausfällt. Zuallererst trauere sie mit den Menschen. Im Übrigen sei sie als Kanzlerin für das politische Geschehen immer mitverantwortlich.

Das Resümee

Dass sich diese Fragestunde so entwickeln konnte, liegt zum einen an Merkels Fähigkeit, alle gefährlicheren Baustellen geschmeidig zu umfahren. Zugleich aber ist am Mittwoch ein Problem noch sichtbarer geworden, das man schon aus früheren Befragungen kannte: Solange jede Fragestellerin und jeder Fragesteller ein anderes Thema aufruft, entkommt die Kanzlerin allen Gefahren. Sie springt von der Krise der Bauern zu Nord Stream 2 und dem Ärger mit den Amerikanern, vom Ukraine-Konflikt zur Klimarettung, von der Ärzteausbildung zum Bäder-Sterben. Jedes Thema ist wichtig, aber keines bleibt an ihr haften.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2019/aner
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