Bundestagswahl 2017:Merkel ist nach US-Wahl Hoffnungsträgerin und Hassfigur zugleich

Jenen, die einen Erfolg nach Trumps Vorbild in Deutschland imitieren möchten, bietet sie das ideale Feindbild. Andere erhoffen sich von der Bundeskanzlerin Beruhigung - und eine erneute Kandidatur.

Kommentar von Nico Fried

Nicht nur einen Präsidenten haben die Amerikaner gewählt, sondern daneben noch eine weitere Entscheidung getroffen: Mit dem Sieg von Donald Trump und seinem bevorstehenden Einzug ins Weiße Haus hat sich Tausende Kilometer entfernt auch die Frage beantwortet, ob Angela Merkel für eine weitere Amtszeit antritt oder nicht. Sollte die Kanzlerin noch erwogen haben, nach zwölf Jahren von sich aus einen Schlussstrich zu ziehen, so macht die neue außenpolitische Lage diese innenpolitische Konsequenz faktisch unmöglich.

Wenn Merkel jetzt ginge - ohne zwingende, zum Beispiel gesundheitliche Gründe -, hinge ihr auf ewig der Ruch an, sie sei in einem besonders schwierigen Moment davongelaufen. Sie würde damit ihre verwirrte Partei weiter verstören und viele Bürger weiter verunsichern.

Ihren Gegnern wiederum, die in Donald Trumps Sieg den Beginn einer Revolution begrüßen, würde Merkel den billigen Triumph ermöglichen, dass das, was der künftige Präsident in seiner Dankesrede "eine Bewegung" nannte, seine umstürzende Wirkung andernorts schon entfaltet, bevor überhaupt gewählt wurde.

Von einem Warnschuss für Deutschland ist die Rede

Das aber beschreibt auch die zwei Pole, zwischen denen sich Merkel nach der US-Wahl innenpolitisch befindet: Sie ist, je nach Sichtweise des Betrachters, entweder der wichtigste Teil des Problems oder der Lösung.

Jenen, die einen Erfolg nach Trumps Vorbild in Deutschland imitieren möchten, bietet sie das ideale Feindbild. Viele andere, weit über die Union hinaus, denen Trump, Putin und Erdoğan Sorgen machen, wünschen sich von der erfahrenen Kanzlerin ein wenig Beruhigung. Mehr denn je ist Merkel zugleich Hoffnungsträgerin und Hassfigur.

Von einem Warnschuss für Deutschland ist mit Blick auf das amerikanische Ergebnis die Rede. Dabei gibt es zwischen den Verhältnissen beider Länder mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten, nicht nur im Wahl- und im Parteiensystem. Der Staat, zumal die Bundesebene, hat in Deutschland viel mehr Bedeutung als in den USA. Die Gesellschaft hierzulande ist sozial, ethnisch und religiös noch immer weitaus homogener; daran ändern auch einige Hunderttausend muslimische Flüchtlinge nichts.

Das Establishment in Washington lässt sich mit der politischen Klasse in Berlin schon wegen der unterschiedlichen Macht des Geldes nicht vergleichen. Und wer Duisburg wegen des Strukturwandels für eine sterbende Stadt hält, hat Detroit nach der Krise der Autoindustrie nicht gesehen.

Trumps Sieg könnte Merkel innenpolitisch helfen

Trotzdem lassen sich Ähnlichkeiten herausfiltern: Zum einen ist es die Personalisierung von Politik, die dem US-System immanent ist, aber auch in Deutschland immer stärker die Wahlausgänge bestimmt. Zum anderen dienen jene Menschen, die Trump in den USA die Vergessenen nennt, in Deutschland den sogenannten Wutbürgern als Vorbild. Gemeinsam ist ihnen, dass sie behaupten, nicht mehr gehört zu werden. In den USA betrifft das offenkundig vor allem eine Mittelschicht mit sozialen Abstiegsängsten; in Deutschland symbolisiert diesen Bürgern nichts deutlicher als Merkels Flüchtlingspolitik die angebliche Taubheit "der da oben".

Insofern steckt auch in den Worten, die Merkel für ihr Statement zur Wahl Donald Trumps wählte, eine gewisse Ambivalenz: Eine selbstbewusste Kanzlerin übermittelte einem künftigen US-Präsidenten 70 Jahre nach der Befreiung Deutschlands die Botschaft der Einhaltung gemeinsamer Werte als Voraussetzung für eine enge Zusammenarbeit.

Die Werte, die Merkel verteidigt, werden auch hier nicht von allen geteilt

Dabei freilich zählte Merkel in ihrem transatlantischen Kanon Werte auf, deren unumstrittener Auslegung sie zu Hause längst nicht mehr sicher sein kann. So werden die westlichen Werte im Allgemeinen und die christdemokratischen im Besonderen, mit denen sie ihre Flüchtlingspolitik begründete, von ihren Kritikern entweder anders interpretiert - oder von manchen womöglich nicht mehr geteilt.

In der politischen Praxis sind die beiden Rollen Merkels schwerlich miteinander vereinbar, es sei denn, man verrenkt sich wie die CSU, die Merkels Flüchtlingspolitik als Fehler verurteilt und trotzdem auf diese Bundeskanzlerin nicht verzichten mag. Ansonsten aber können die entgegengesetzten Wahrnehmungen Merkels als vertrauenswürdige Staatsfrau einerseits und als verkappte Staatsfeindin andererseits durchaus parallel anwachsen, als das Werk kommunizierender Röhren.

Im Ergebnis dürfte das am wahrscheinlichsten zur Folge haben, dass Merkels Kanzlerbonus ihr die Macht erhält, aber nur in einer zahlenmäßig stark fragmentierten und politisch extrem polarisierten Parteienlandschaft. Anders gesagt: Trumps Sieg könnte Merkel innenpolitisch helfen. Doch der Preis ist hoch.

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