Merkel nach EU-Gipfel:"Wenn alles umgesetzt wird, ist das mehr als wirkungsgleich"

  • Angela Merkel zeigt sich nach dem EU-Gipfel optimistisch, dass die Brüsseler Beschlüsse zur Migration die CSU zufriedenstellen können.
  • Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf eine Verschärfung des Kurses in der Asylpolitik verständigt. Zudem hat Merkel mit Spanien und Griechenland Abkommen zur Rücknahme dort bereits registrierter Flüchtlinge vereinbart.
  • Die CSU will am Wochenende darüber entscheiden, ob Innenminister Seehofer gegen Merkels Willen eine Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an deutschen Grenzen anordnet. Das würde wohl ein Ende der Regierung bedeuten.

Von Barbara Galaktionow und Jana Anzlinger

Es geht immerhin um ihre Zukunft als Kanzlerin. Entsprechend gespannt wird der Auftritt von Angela Merkel nach dem EU-Gipfel erwartet. Den Nachmittag über wird er immer wieder nach hinten verschoben. Dann geht es endlich los, alle halten den Atem an, der Bundeskanzlerin wird das Wort erteilt - und das erste, was sie sagt, ist: "Die Bundeskanzlerin nimmt jetzt erstmal einen Schluck Wasser."

Zu Beginn der Pressekonferenz wirkt die Kanzlerin etwas kurzatmig. Inhaltlich lässt sie sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Gespräche mit der Nato über Sicherheit und Verteidigung, eine wegen des Handelsstreits geplante Juncker-Reise in die USA, Reformbedarf der Wirtschafts- und Währungsunion, der Brexit - die wichtigsten Ergebnisse des Gipfels zu all diesen Themen referiert Merkel gewohnt trocken. Erst dann kommt sie zu dem Thema, das eben auch wegen der Berliner Regierungskrise den zweitägigen EU-Gipfel beherrscht hat: der Migration. Da ist von Atemlosigkeit nichts mehr zu spüren.

Besserer Schutz der Außengrenzen, geschlossene Aufnahmelager in der EU, möglichst auch Lager in Nordafrika und eine Umverteilung der Flüchtlinge: Am Ende ist es den Staats- und Regierungschefs in Brüssel doch gelungen, gemeinsame Beschlüsse zur Asylpolitik zu fassen. "Wir wollen die Migration an der Wurzel auch sozusagen, ähm, annehmen", sagt die Kanzlerin. Sie bremst sich gerade noch rechtzeitig, bevor sie ein Wort wie "bekämpfen" oder "ausrotten" im Zusammenhang mit geflüchteten Menschen verwendet.

Das verabschiedete Papier sieht insgesamt einen härteren Kurs vor, ist in der konkreten Ausgestaltung aber hinreichend schwammig, um keinen Staat direkt in die Pflicht zu nehmen. Die meisten Staats- und Regierungschefs dürften also entspannt abgereist sein. Womöglich sogar Angela Merkel.

Zu Beginn des Gipfels stand die Kanzlerin unter starkem innenpolitischen Druck. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte damit gedroht, gegen Merkels Willen Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der deutschen Grenze zurückzuweisen, wenn bis Anfang Juli keine "wirkungsgleiche" Regelung auf europäischer Ebene gefunden worden sei. Ein Schritt, der fast unweigerlich zum Bruch der Union und damit auch der großen Koalition geführt hätte.

Eine wichtige Feststellung, das "Kernelement" der Beschlüsse sei gewesen, dass Migration nicht nur für einzelne Staaten eine Herausforderung sei, "sondern für Europa insgesamt", sagt Merkel.

Die große Neuigkeit, die sie bei ihrer Pressekonferenz verkündet, sind aber nicht die Gipfelbeschlüsse, die schon am Morgen bekannt waren. Sie hat wie angekündigt bilaterale Vereinbarungen getroffen, was die Zurückweisung bereits in einem anderen EU-Staat registrierter Flüchtlinge an deutschen Grenzen angeht. Griechenland und Spanien seien bereit, solche Flüchtlinge wieder zurückzunehmen. Zudem habe sich eine "Vielzahl von Ländern" bereit erklärt, Asylsuchende zurückzunehmen, die nicht direkt an den Grenzen aufgegriffen werden.

Ob die Schwesterpartei sich mit dem Gesamtpaket an Beschlüssen zufriedengeben werde? Merkel zeigt sich optimistisch. "Wenn das alles umgesetzt wird, dann ist das mehr als wirkungsgleich", sagt sie. Über die Details der Vereinbarungen werde sie die Koalitionspartner noch heute unterrichten.

Erste Reaktionen aus der CSU weisen darauf hin, dass die Brüsseler Ergebnisse durchaus dafür geeignet sein könnten, der Partei einen gesichtswahrenden Weg aus der Konfrontation zu ebnen. Dabei bleibt das Abschlusspapier in dem Punkt, der der CSU so wichtig ist, vage. Zu Flüchtlingsbewegungen innerhalb der EU heißt es nur, dass die Mitgliedstaaten "alle nötigen internen legislativen und administrativen Maßnahmen ergreifen" sollten, um Sekundärmigration zu verhindern.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sieht in diesen wachsweichen Zeilen offenbar die Politik seiner Partei bestätigt. Er verwies am Freitag darauf, dass in dem Dokument "das Ergreifen von nationalen Maßnahmen ausdrücklich vorgesehen" sei. Auch den Beschluss als Ganzes verbuchte er mehr oder weniger als Erfolg der CSU. "Es ist ein Ergebnis der Debatte in Deutschland, dass sich auf EU-Ebene endlich stärker mit der Migrationsthematik auseinandergesetzt wird", sagt Dobrindt in Berlin. Eine Reihe an Punkten, so zum Beispiel der bessere Schutz der Außengrenzen, seien Maßnahmen, "die wir als CSU seit Langem mit Nachdruck einfordern".

CSU-Chef Seehofer lässt noch nicht erkennen, ob er die Gipfelbeschlüsse für ausreichend erachtet, um den Unionsstreit zu befrieden. Er werde den Gipfel nicht anhand von Pressemitteilungen und Abschlusserklärungen bewerten, sondern wolle mit der Kanzlerin und anderen Beteiligten sprechen, lässt er über eine Sprecherin seines Ministeriums mitteilen. Bereits vor dem Gipfel hatte er versöhnlichere Töne anklingen lassen als zu Beginn des Streits um seinen sogenannten "Masterplan Migration" vor knapp zwei Wochen. So zeigte er sich in einer Talkshow am Mittwoch zuversichtlich, dass es am Sonntag bestimmt eine "schöne Lösung" geben werde. Er kenne in seiner Partei niemanden, der die Kanzlerin stürzen wolle.

Der Bundesinnenminister will sich am Samstag direkt mit Merkel über die Gipfelbeschlüsse austauschen. Am Sonntag will dann die CSU darüber entscheiden, ob Seehofer im Alleingang Zurückweisungen anordnet. Auch die Führung der CDU trifft sich zu Gesprächen.

Folgt man rationalen Kriterien, erscheint es eher unwahrscheinlich, dass die CSU tatsächlich einen Bruch mit der CDU riskiert. Denn dieser würde den Christsozialen selbst wohl am meisten schaden. Schon jetzt scheint sich der Asylstreit in sinkender Beliebtheit führender CSU-Politiker niederzuschlagen.

Hat der Gipfel also die Kanzlerin gerettet? So will sie es selbst nicht dargestellt wissen. Sie habe die angespannte Situation in Deutschland "eher als Ansporn gesehen", hier "Lösungen zu finden", als "Nukleus" und Mittel zur "Beschleunigung", sagt Merkel bei der Pressekonferenz in Brüssel nach dem Gipfel. Also sei sie der CSU am Ende vielleicht noch dankbar?, fragt ein Journalist. Alle lachen. Merkel schmunzelt zumindest.

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