Süddeutsche Zeitung

Herlind Kasner tot:Merkel trauert um ihre Mutter

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Von Jens Schneider, Berlin

Genau zwei Monate liegt der festliche Abend von Templin zurück. Die Stadt in der Uckermark verlieh ihrer prominentesten Bürgerin Angela Merkel die Ehrenbürgerwürde, und schon bevor die Kanzlerin eintraf, hatte sich ihre Mutter Herlind Kasner eingefunden. In einem kurzen Gespräch erzählte die alte Dame mit großer Heiterkeit, dass sie selbstverständlich noch weiter Englisch-Kurse an der Volkshochschule der kleinen Stadt gebe.

Die leidenschaftliche Lehrerin berichtete, dass sie als Pfarrersfrau in der DDR nicht als Lehrerin arbeiten durfte. Aber gleich 1989, als der SED-Staat zusammenbrach, habe sie ihren ersten Kurs an der Volkshochschule angeboten. Einige Schüler blieben ihr und ihrem Kurs "Let's go on learning English" treu. Es mache Spaß und sei eine wichtige Aufgabe.

In Hamburg hatte Herlind Kasner einst Anglistik und Latein studiert. Im Jahr 1954 zog sie von dort gemeinsam mit ihrem Mann Horst Kasner, einem evangelischen Pfarrer, und der Tochter Angela in die DDR, ins brandenburgische Quitzow. 1957 kam die Familie nach Templin, es sollte ihre Heimatstadt werden. Horst Kasner leitete dort ein Pastoralkolleg.

Kasner engagierte sich nach dem Ende der DDR auch politisch, sie war einige Zeit Mitglied der SPD. Intensiv verfolgte sie den politischen Aufstieg ihrer Tochter zur Bundeskanzlerin. Sie war bei jeder Vereidigung von Angela Merkel im Bundestag dabei, noch in den Jahren 2005 und 2009 gemeinsam mit ihrem Mann. Er verstarb im Jahr 2011.

Hinterher hat Kasner stets im Büro im Reichstagsgebäude gemeinsam mit ihrer Tochter und den jeweiligen Koalitionspartnern zu Mittag gegessen und auf die Regierung angestoßen.

Den nüchtern-pragmatischen Stil hat Merkel wohl von ihrer Mutter geerbt

Als sie 2009 darauf angesprochen wurde, dass ihrer Tochter zahlreiche Stimmen aus der schwarz-gelben Koalition bei der Wahl zur Kanzlerin fehlten, antwortete sie: "Es kommt, wie es kommt." Daran war leicht abzulesen, dass die Tochter ihren nüchtern-pragmatischen Stil wohl nicht zuletzt von der Mutter geerbt haben dürfte.

Die Kanzlerin hat seit vielen Jahren ihre Datsche in der Nähe von Templin, sie besuchte die Mutter häufig an Wochenenden.

Vor einigen Wochen erkrankte Kasner, zuletzt kümmerte sich Merkel unbemerkt von der Öffentlichkeit intensiv um sie. Nun ist Kasner im Alter von 90 Jahren gestorben, wie das Kanzleramt bestätigte.

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