Süddeutsche Zeitung

Corona-Hilfspaket:Merkel und Macron setzen die Zauderer unter Druck

Berlin und Paris hoffen, dass ihr Vorschlag eines Corona-Wiederaufbaufonds Gräben überwindet. Doch es werden lange Debatten und Anpassungen nötig sein.

Von Daniel Brössler, Berlin, und Björn Finke, Brüssel

Die EU-Kommission war besonders schnell. Als Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihren Plan für ein Corona-Hilfspaket vorstellten, ging bei Journalisten die Pressemitteilung mit der Reaktion Ursula von der Leyens früher ein als die Mail der deutschen EU-Vertretung, die das Programm erst mal skizzierte. Die Kommissionspräsidentin begrüßt demnach die Initiative, denn diese "geht in die Richtung des Vorschlags, an dem die Kommission arbeitet". Staats- und Regierungschefs der EU äußerten sich ebenfalls auffällig rasch, um Ablehnung oder Zustimmung kundzutun - untrügliche Zeichen dafür, dass Deutschland und Frankreich ihren Plan mit vielen Partnern besprochen hatten.

Doch eine Garantie, dass er verwirklicht wird, ist das nicht. Die wichtigsten Aspekte im Überblick.

Die Erfolgschancen

Die Staats- und Regierungschefs haben sich bereits im April auf ein erstes Corona-Hilfsprogramm für klamme Staaten geeinigt. Das sieht bis zu 340 Milliarden Euro an günstigen Darlehen vor. Es herrscht jedoch Konsens, dass dies nicht reicht und ein Folgepaket nötig ist. Allerdings sind die Regierungen über wichtige Punkte uneins. Berlin und Paris hoffen, dass ihr Vorschlag Gräben überwindet und Grundlage für einen Kompromiss sein kann.

Denn Deutschland und Frankreich sind die zwei mächtigsten EU-Mitglieder, und sie vertreten in der Finanzpolitik oft gegensätzliche Positionen. Dass sie nun gemeinsam für einen Hilfstopf werben, setzt Zauderer in anderen Ländern unter Druck. Doch am Ende müssen alle 27 Staats- und Regierungschefs zustimmen, und dafür werden lange Debatten und einige Anpassungen nötig sein. Das Konzept sei ein "Angebot", über das nun natürlich weiter verhandelt werden müsse, so Merkel.

Beim Hilfspaket gibt es drei Lager: Südeuropäische Staaten wie Italien und Spanien, die von der Pandemie hart getroffen und ohnehin hoch verschuldet sind, fordern einen üppigen Topf, der mindestens eine Billion Euro umfassen und vor allem Zuschüsse an Regierungen auszahlen soll - nicht bloß günstige Darlehen. Das Argument lautet, dass diese Länder bereits mehr als genug Schulden haben. Dass das Konzept von Merkel und Macron tatsächlich Zuschüsse vorsieht, erfreut diese Gruppe; Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez äußerte sich nach der Präsentation am Montagabend wohlwollend.

Das kann von Österreichs Bundeskanzler nicht gesagt werden. "Wir sind skeptisch", äußerte Sebastian Kurz am Dienstagabend. Sein Land stimme sich mit den Niederlanden, Dänemark und Schweden ab, die vier Staaten seien der Überzeugung "dass Kredite der richtige Weg sind, nicht Zuschüsse." In wenigen Tagen will die Gruppe ein eigenes Konzept vorlegen, wie sich die Wirtschaft ankurbeln lässt, ohne Schulden zu vergemeinschaften.

Die dritte Gruppe bilden die östlichen Staaten, die bislang weniger stark unter der Pandemie leiden. Länder wie Ungarn und Polen profitieren von Agrarsubventionen und EU-Strukturfonds, also den Hilfstöpfen für benachteiligte Regionen. Die Regierungen wehren sich dagegen, dass Brüssel Geld aus diesen Bereichen für die Corona-Unterstützung umschichtet. Merkel konnte sich am Dienstag aus erster Hand informieren. Wie es der Zufall wollte, war eine Videoschaltung mit den Regierungschefs der Visegrád-Gruppe angesetzt.

Der Umgang mit dem lockeren Verbund aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn ist nicht Merkels leichteste Übung. In der Gruppe führt gewöhnlich ihr alter Widersacher, der Ungar Viktor Orbán, das große Wort. Während der Flüchtlingskrise war Visegrád zum Synonym geworden für den Widerstand gegen Merkels Politik. Diesmal soll der Ton allerdings eher freundlich gewesen sein, hieß es danach. Die Mittelosteuropäer wollten mehr erfahren über den Entwurf - und vor allem darüber, wo das Geld hinfließen soll. Man habe einen "weiteren engen Austausch" vereinbart, verlautete aus dem Kanzleramt.

Das weitere Vorgehen

Die Staats- und Regierungschefs hatten Kommissionspräsidentin von der Leyen im April den Auftrag gegeben, einen Vorschlag für das Hilfsprogramm zu erarbeiten. Zugleich soll die Behörde einen neuen Entwurf für den Sieben-Jahres-Haushalt der EU von 2021 bis 2027 vorlegen. Der Corona-Topf, den von der Leyen Wiederaufbauinstrument getauft hat, soll mit dem Budget verknüpft sein. Kommenden Mittwoch will die Deutsche beides präsentieren. Danach werden die Regierungen über den Topf und das Langzeit-Budget, den sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen, debattieren.

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Der Vorstoß aus Berlin und Paris nützt von der Leyen. Sie kann sich nun sicher sein, dass die zwei mächtigsten Mitglieder ein 500-Milliarden-Euro-Hilfspaket unterstützen würden, das über lang laufende Anleihen finanziert wird und Zuschüsse zahlt. Der Entwurf der Kommission werde der Vorlage der Regierungen bei diesen Eckpunkten ähneln, heißt es.

Trotzdem stehen harte Diskussionen an. Die Kommission geht davon aus, dass sich die Staats- und Regierungschefs nur bei einem echten Gipfel in Brüssel einigen können, nicht bei einer Videoschalte. Das nächste Spitzentreffen ist für den 18. Juni angesetzt. Gelingt der Durchbruch, müssten danach das Europaparlament und nationale Parlamente zustimmen. Komplikationen sind dabei nicht ausgeschlossen, aber die größte Hürde stellt sicherlich das Placet der Regierungen dar.

Wie das Programm ablaufen soll

Das Konzept sieht vor, dass die Kommission über Anleihen 500 Milliarden Euro Schulden aufnimmt und so über zwei oder drei Jahre hinweg bestehende EU-Programme aufstockt und neue finanziert. Der Topf würde also den EU-Haushalt massiv vergrößern. Zum Vergleich: Im Februar konnten sich die Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfel nicht auf einen Sieben-Jahres-Etat für 2021 bis 2027 einigen. Auf dem Tisch lag ein Vorschlag, der insgesamt etwas mehr als eine Billion Euro umfasst - oder 150 Milliarden Euro pro Jahr. Die Kommission werde sich beim neuen Entwurf für das Budget daran orientieren, heißt es. 500 Milliarden Euro extra, schuldenfinanziert und verteilt auf wenige Jahre, machen da einen Riesenunterschied.

Die Behörde werde vorschlagen, den Großteil - fast drei Viertel - der Mittel aus dem Corona-Hilfstopf für ein neues Programm zu nutzen, sagt ein hochrangiger EU-Beamter. Dieses Instrument soll Regierungen bei Reformen und Investitionen unterstützen. Die Kommission gibt regelmäßig Empfehlungen ab, wie Staaten Wirtschaft oder Sozialsysteme voranbringen können. Die Regierungen ignorieren die Vorschläge allerdings genauso regelmäßig. Das neue Programm würde Mittel daran knüpfen, dass Länder den Rat ernster nehmen. Zehn bis 15 Prozent des Geldes aus dem Topf will die Kommission dafür verwenden, wichtigen Branchen zu helfen und Firmen das Investieren zu erleichtern. Weniger als zehn Prozent sind vorgesehen, um Programme aufzustocken, die Forschung fördern oder Reserven medizinischer Ausrüstung anlegen.

Haftung und Schuldendienst

Nimmt die Kommission Schulden auf, haften die Mitgliedstaaten dafür mit ihrem Anteil am EU-Haushalt. Auf Deutschland entfiele etwa ein Viertel. Das ist ein wichtiger Unterschied zu den sogenannten Corona-Anleihen. Frankreich und Italien warben lange dafür, den Hilfstopf mit gemeinsamen europäischen Anleihen zu füllen, bei denen jeder Staat gesamtschuldnerisch für alles haftet. Würden Italien und Griechenland nicht zahlen können, müssten Deutschland und andere finanzstarke Staaten unbegrenzt einspringen.

Die Schulden sollen über künftige EU-Haushalte abgetragen werden, verteilt auf zwei Jahrzehnte oder länger. Entweder müssten Regierungen dafür mehr nach Brüssel überweisen - das würde vor allem Deutschland und andere Netto-Zahler treffen -, oder die EU hätte bei gleichen Beiträgen weniger Geld zur Verfügung. Eine dritte Möglichkeit wäre, dass die Regierungen der EU mehr eigene Finanzquellen erschließen. Diskutiert wird etwa über eine Abgabe auf unrecycelten Plastikmüll. Von der Leyen werde Vorschläge für solche Initiativen unterbreiten, heißt es. Klar ist: Am Ende bleibt es am Bürger hängen.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2020/jobr
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