Angela Merkel:Wohlfühlen mit Bakterien

Angela Merkel: Angela Merkel mit Jörg Hacker, Ex-Präsident der Leopoldina, und dessen Nachfolger Gerald Haug (r.) sowie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (l.) in Halle.

Angela Merkel mit Jörg Hacker, Ex-Präsident der Leopoldina, und dessen Nachfolger Gerald Haug (r.) sowie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (l.) in Halle.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Die Kanzlerin a. D. ehrt in Halle den früheren Leopoldina-Präsidenten Hacker. Sie spricht über den Wert der Wissenschaften, über Antibiotikaresistenzen und die Darmflora - mit dem ihr eigenen Witz.

Von Iris Mayer, Halle (Saale)

Es dürfte nicht allzu viele Politiker geben, für die ein Symposium mit dem Titel "Von Bakterien, Menschen und Wissenschaften" als Erholung zählt. Die Physikerin und Kanzlerin a. D. Angela Merkel (CDU) darf man dazuzählen, wie sie bei ihrem Wiedereintritt in die öffentliche Atmosphäre vor vier Wochen im Gespräch mit dem Spiegel-Journalisten Alexander Osang selbst bekannte. Merkel sagte, wenn sie über sich lese, sie schleiche sich zurück und mache nur noch Wohlfühltermine, "dann sage ich: Ja." Der Auftritt im Berliner Ensemble, ein großes Interview im Altkanzlerinnenbüro, ein Museumsbesuch mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama in Washington und nun, an diesem Dienstag, in Halle (Saale) eine Ansprache zum 70. Geburtstag des früheren Leopoldina-Präsidenten Jörg Hacker - das also sind Merkels Wohlfühltermine.

Zu Hacker pflegte sie jahrelang einen engen Draht, ließ sich zur G-7- und G-20-Präsidentschaft von ihm beraten und wollte eigentlich vor zwei Jahren die Abschiedsrede halten, als Hacker sein Amt an Gerald Haug übergab. Doch dann machte der Anschlag von Hanau den Plan zunichte, Merkel sagte ab und schickte einen Staatssekretär. Am Dienstagvormittag aber betritt sie vor 200 applaudierenden Gästen die Bühne der Nationalen Akademie der Wissenschaften. "Hochverehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela Merkel" begrüßt sie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, "gut, dass wir dich heute sprechen hören".

In drei Minuten zur Antibiotikaresistenz

Merkel nickt und kommt gleich zum Thema, den Bakterien nämlich. Zehn Mal so viele Bakterien wie Zellen befänden sich auf und im Menschen, "99 Prozent dieser Bakterien bilden die Darmflora. Das sind mindestens 400 Arten." Im Mund eines Menschen lebten dagegen nur zehn Milliarden Bakterien. "Schwach ausgestattet", befindet die Physikerin, das Wissenschaftspublikum lacht. Mensch und Bakterien seien aufs Engste miteinander verbunden, sagt Merkel und ist nach drei Minuten Redezeit bei Blutvergiftungen und Antibiotikaresistenzen angekommen.

Das Thema steht gerade nicht im Zentrum der großen Öffentlichkeit, war aber auch Hacker immer wichtig. Befragt nach Merkels Verdiensten, erzählte er der Zeit im Dezember, als Wissenschaftsvermittlerin habe sie über die Jahre zu wenig Beachtung gefunden. "Als erstes Regierungsoberhaupt hat sie Themen wie globale Gesundheit und den weltweiten Kampf gegen Antibiotikaresistenzen auf die Agenda gesetzt." Vor dem G-20-Gipfel in Hamburg hatte die Leopoldina Vertreter von 20 internationalen Wissenschaftsakademien nach Halle eingeladen, mit dabei: Angela Merkel.

"Sie waren ein Glücksfall"

Dass sie den Wert wissenschaftlicher Beratung im Allgemeinen und Hacker im Besonderen schätzt, macht Merkel am Dienstag sehr deutlich: "Sie waren ein Glücksfall", sagt sie an Hackers Adresse. Er habe wissenschaftliche Exzellenz mit der Fähigkeit verbunden, integrativ zu wirken und Menschen interdisziplinär ins Gespräch zu bringen. Hacker war nicht nur von 2010 bis 2020 Präsident der Akademie, er arbeitete lange als Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, leitete das Robert-Koch-Institut und das Institut für Molekulare Infektionsbiologie an der Universität Würzburg.

"Auch ich habe Ihren Rat geschätzt", sagt Merkel und kommt nach den Bakterien und dem Menschen Hacker zu den Wissenschaften. Gerade in Zeiten von Corona sei die Leopoldina "von großer Bedeutung für mich und meine Entscheidungsprozesse" gewesen. Wissenschaftlich fundierte Politikberatung werde auch deshalb entscheidend sein, "weil faktenbasierte Urteilsbildung in Zeiten von Fake News und schier unendlichen Möglichkeiten der Desinformation immer wichtiger werden wird". Die Stärke und Relevanz der Leopoldina liege in der Bündelung unterschiedlicher Disziplinen und Perspektiven.

Dass die Physikerin Merkel die naturwissenschaftliche Perspektive liebt, hat schon ihre Feier zum 50. Geburtstag gezeigt. Dort hielt der Hirnforscher Wolf Singer einen Vortrag über das "Gehirn - Ein Beispiel zur Selbstorganisation komplexer Systeme". Der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle hätte die Party fast verpasst, weil sein Büro die Einladung erst mal wegwarf. Zehn Jahre später dozierte der Historiker Jürgen Osterhammel "Über die Zeithorizonte der Geschichte". Gut möglich, dass zu Merkels 70. Jörg Hacker spricht, vielleicht über Bakterien und die Wissenschaft.

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