CDU:Als Merkel den Abschied vom Alten wagte

FILE PHOTO: ANGELA MERKEL RECEIVES APPLAUSE AFTER BEING ELECTED AS CDU CHAIRMAN IN ESSEN.

Wie es nach dem Brief weiterging: Angela Merkel nach ihrer Wahl zur CDU-Vorsitzenden im April 2000. Neben ihr: Wolfgang Schäuble (links) und Friedrich Merz.

(Foto: REUTERS)
  • Vor 20 Jahren schrieb Angela Merkel einen Beitrag in der FAZ, der das Ende der Ära Helmut Kohl einleitete.
  • Die CDU befand sich wegen der Spendenaffäre in der Krise - und Merkel forderte die Partei auf, "laufen zu lernen".
  • Geärgert hat sich damals vor allem Parteichef Wolfgang Schäuble. Doch dann geriet er selbst in die Bredouille.

Von Stefan Braun, Berlin

Diese politische Bombe kam ganz leise daher. Sanft fast. Ein Brief, zwei Tage vor Weihnachten, mit freundlichen, fast zärtlichen Worten des Abschieds. Sicher, auch ein paar strenge Sätze fanden sich darin, insbesondere über das, was nicht hätte passieren dürfen. Ansonsten aber steckte der Text voller friedlicher Hinweise darauf, wie es sein soll, wenn die Alten gehen und die Neuen übernehmen.

Als Angela Merkel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Beitrag vor genau zwanzig Jahren schickte, hatte sie viel getan, um plumpe Provokationen auszuschließen. Trotzdem wurde dieser Text, der am 22. Dezember 1999 erschien, der spektakuläre Höhepunkt in einer Krise, die für die CDU existenzielle Ausmaße angenommen hatte. Es war Merkels Aufruf, sich vom Übervater zu lösen. Es war ihr Appell, Helmut Kohl Adieu zu sagen. In ihren Worten: "Die Partei muss laufen lernen."

Zur Erinnerung: Sechs Wochen zuvor war bekannt geworden, dass es unter Helmut Kohl jahrelang schwarze Kassen gegeben hatte. Und drei Wochen zuvor hatte der Altkanzler das nicht nur eingeräumt, sondern auch erklärt, dass er die Namen der Spender niemals preisgeben werde. Es war die vielleicht rücksichtsloseste Ignorierung des Rechtsstaates - und das stürzte die CDU endgültig in die Krise. Ohne Kohls Mithilfe würde sie den Skandal nicht aufklären können, der sie mehr und mehr in ihrer Existenz bedrohte. Jeden Tag gab es neue Nachrichten und noch mehr Spekulationen. Eine Zeit des Aufruhrs folgte - und keiner hatte die Kraft, die Abwärtsspirale zu stoppen.

Dann kam Merkel und schrieb ihren Brief. Einen Brief, der für sie politisch gefährlich wurde, obwohl sie mit der Vorsicht einer Herzchirurgin agierte. Bevor sie vom Schaden schrieb, den Kohl angerichtet habe, erzählte sie von der "großen Tragik" um den Altkanzler. Ja, Kohl habe 1998 eine historische Niederlage erlitten. Aber nur Monate später sei die Welt mit Wahlsiegen in Hessen und im Saarland, in Sachsen und Thüringen und bei der Europawahl schon wieder in Ordnung gewesen. "Was für ein Comeback Helmut Kohls", schrieb Merkel. "Vom abgewählten Kanzler zum Ehrenbürger Europas, umjubelt in Deutschlands Fußgängerzonen, gefeiert am zehnten Jahrestag des 9. November." Merkels Abschiedsbrief - er war zu Beginn etwas ganz anderes: nämlich eine Lobeshymne.

Gefeiert wurde Merkel damals nicht. Im Gegenteil

Erst danach kam Merkel zu Kohls rechtswidrigem Verhalten, zur Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Christdemokraten und zu dem, was die CDU daraus lernen müsse. "Wir kommen nicht umhin, unsere Zukunft selbst in die Hand zu nehmen", schrieb die damals 45-Jährige. Die Partei müsse sich "wie jemand in der Pubertät von Zuhause lösen". Ein solcher Prozess verlaufe nie ohne Wunden. Entscheidend sei, "ob wir dieses scheinbar Undenkbare als Treuebruch verteufeln oder als notwendige, fließende Weiterentwicklung begreifen". Merkel, die Jugendpsychologin, die ihre eigene Partei ganz sanft in Richtung Zukunft schubsen wollte.

Gerne würde man wissen, ob sie sich heute, den eigenen Abschied vor Augen, an diese Zeilen erinnert. Zumal sie die eigene, vor der CDU stehende Aufgabe noch viel ausführlicher analysierte. Ausweichen könne die CDU der Loslösung sowieso nicht, schrieb sie, und Kohl wäre "im Übrigen sicher der Erste, der dies verstünde". Wenn die Partei diese Aufgabe annehme, werde sie sich verändert haben und im Kern doch die gleiche bleiben - "mit großartigen Grundwerten, mit selbstbewussten Mitgliedern, mit einer Mischung aus Bewahrenswertem und neuen Erfahrungen und mit einem Entwurf für die Zukunft". Wenn das nur Annegret Kramp-Karrenbauer nicht in die Hände bekommt. Die CDU-Vorsitzende könnte jede Zeile zitieren, wollte sie die Lage in der Partei heute zusammenfassen.

Gefeiert wurde Merkel damals übrigens nicht. Im Gegenteil. Sie wurde von einem gescholten und vielen anderen angefeindet. Geärgert hatte sich vor allem ihr eigener Parteichef Wolfgang Schäuble. Dem nämlich hatte sie diese briefliche Bombe nicht angekündigt. Später von ihm darauf angesprochen, soll sie geantwortet haben: Sie hätten es mir nicht erlaubt. Also habe sie ihn erst gar nicht fragen wollen. Dass Schäuble nur wenige Tage später selbst wegen einer 100 000-Mark-Spende in die Bredouille geraten würde, ahnte sie damals eher nicht, auch wenn sich das Gerücht bei manchen bis heute hält.

Heikler als Schäuble waren für Merkel allerdings ein paar andere Christdemokraten. Gemeint sind vor allem die CDU-Männer um Roland Koch, Christian Wulff und Günther Oettinger. Sie waren unter Kohl groß geworden und lasen Merkels Brief wie eine Kriegserklärung. Gegen den Altkanzler, aber auch gegen sich selber. Plötzlich, so ihre Interpretation, machte sich ausgerechnet die Frau aus dem Osten auf, ihnen ihre Ansprüche als Nachfolger streitig zu machen. Weihnachten 1999 war für Merkel deshalb eine fürchterliche Etappe. Tage der Ungewissheit, in denen sie quälend lang warten musste, wie sich in der Partei die Macht ausrichten würde. In dieser Phase rund um den Jahreswechsel hatte sie zwar viel Zeit, aber keine Ahnung, ob sie den Brief politisch überleben würde.

Das änderte sich erst am 18. Januar 2000. An dem Tag musste der hessische Landesverband einräumen, dass es auch dort schwarze Konten gegeben hatte, als jüdische Vermächtnisse getarnt. Mit einem Mal kämpfte ihr wichtigster Konkurrent Koch mit einer eigenen Krise. Und seine Mitstreiter hatten weder den Mut noch die Kraft, sich als Alternative zu Merkel zu etablieren. Von diesem Tag an ahnte Merkel, dass ihre Gegner keine Kraft mehr hatten, dagegenzuhalten.

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