Ende der Ära Angela Merkel:Mosaik aus Macht und Menschlichkeit

Wahlkampf Berlin

Die Raute, 70 auf 20 Meter, 2013 am Berliner Hauptbahnhof: Das Bild setzte sich zusammen aus 2150 Einzelbildern, die die Hände von CDU-Unterstützern zeigten.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Zwei ungewöhnliche Zugänge zu Merkels Kanzlerschaft: Torsten Körner bastelt ein Potpourri aus Anekdoten, Peter Zudeick schaut auf das Ende aller deutschen Kanzler - das Urteil der Autoren fällt sehr unterschiedlich aus.

Von Robert Probst

"Sie kennen mich", sprach die Kanzlerin im Jahr 2013 in die deutschen Wohnzimmer hinein. Das stimmte irgendwie, sie regierte ja schon acht Jahre lang. Andererseits stimmte es natürlich gar nicht, denn auch jetzt - wieder acht Jahre später - können nicht viele von sich behaupten, Angela Merkel zu kennen. Nun steht ihr selbstgewählter Abschied von der Macht kurz bevor. Olaf Scholz begehrt Einlass ins Kanzleramt. Und die Exegeten arbeiten an den politischen Nachrufen auf die erste Frau mit Richtlinienkompetenz.

Zwei klassische Biografien sind dieses Jahr bereits erschienen. Ralph Bollmanns "Angela Merkel. Die Kanzlerin und ihre Zeit" (C. H. Beck) und Ursula Weidenfelds "Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche" (Rowohlt) - beide viel besprochen und gut verkauft. Dazu kam eben das spektakuläre Fotobuch von Herlinde Koelbl, "Angela Merkel. Porträts 1991-2021" (Taschen). Zwei ganz andere Zugänge wählen hingegen Torsten Körner und Peter Zudeick.

Ende der Ära Angela Merkel: Thorsten Körner: Die Kanzlerin am Dönerstand. Miniaturen aus dem Leben von Angela Merkel. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 304 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

Thorsten Körner: Die Kanzlerin am Dönerstand. Miniaturen aus dem Leben von Angela Merkel. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 304 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

Der Dokumentarfilmer, Schriftsteller und Biograf Körner - zuletzt mit dem Film "Die Unbeugsamen" über Frauen in der Politik in den Schlagzeilen - hat sich mit dem allein schon seltsamen Titel "Die Kanzlerin am Dönerstand" für ein sehr ungewöhnliches Konzept entschieden, er versammelt ein "Kaleidoskop vielsagender Szenen" aus dem Leben von Angela Merkel; er will weder eine politische Biografie vorlegen, noch geht er chronologisch vor. Miniaturen, Splitter sollen es sein. Der Mensch Merkel wird hier im Vordergrund stehen, die Empathie des Autors ist ihr gewiss.

Körner rührt ausgiebig in der Kartoffelsuppe

Im Grunde legt Körner sehr geschickt komponierte und sehr literarische Mini-Erzählungen vor, hier wechseln sich die berühmte Kartoffelsuppe, Putins Hund, die Selfies mit den Flüchtlingen, "Kohls Mädchen", die Sternsinger, die Zitteranfälle in bunter Reihenfolge ab; es geht im Galopp von "Wir schaffen das" bis "Nehmen Sie es ernst". Und dann natürlich die Raute - die ebenfalls 2013 als Riesenwahlplakat in Berlin zu sehen war. Körner nennt die so arrangierten Hände Merkels "Assistentinnen des Ausgleichs, ihre Anti-Schleuder-Systeme auf dem langen Weg durch den Dschungel der Macht".

Die zahllosen Krisen in Deutschland, Europa und der Welt, die Entkernung der CDU, die Machtkämpfe in der Union - all das ist nicht Körners Thema, diese Leerstellen hat er bewusst gesetzt, um den Blick frei zu haben auf Merkels Sozialisation in der DDR, auf ihre Art, mit Menschen umzugehen, ihren Humor und Sätze wie "Es ist bezeugt und bewiesen, dass Professor Sauer spricht, aber eben nur dann, wenn er es will."

Die Lektüre bereitet also durchaus Spaß - auch wenn hie und da ein wenig mehr Stringenz und weniger Lust am Fabulieren nicht geschadet hätten. Politik-Junkies werden vieles in dem Buch womöglich überinterpretiert und/oder albern finden, zumal es nirgends Belegstellen gibt; wobei der Autor betont, nichts erfunden, "allenfalls atmosphärisch kontextualisiert" zu haben. Andererseits hat Körner sehr viele lange nicht beachtete Schätze aus den Archiven gehoben und einige vielsagende Erinnerungen von Merkel-Nahestehern aufgeschrieben, dass insgesamt doch eine Ahnung entsteht, wer Deutschland da 16 Jahre lang regiert hat.

Wer allerdings bewusst auf harte Politik-Betrachtung verzichtet, sollte dann am Schluss vielleicht nicht bilanzieren, dass sowohl Helmut Kohl als auch Gerhard Schröder sich am Geist der Volksparteien "vergingen" und sich über das Volk erhoben, sodass dann erst Angela Merkel dem Amt des Kanzlers "wieder Ansehen und Würde" verschaffen konnte.

Zudeick kann Merkels Regierung nicht viel abgewinnen

Der Publizist Peter Zudeick hat sich - mit dem noch seltsameren Titel: "Verbrandt, Verkohlt und Ausgemerkelt" - das Ende deutscher Kanzlerschaften vorgenommen und kommt zu einer deutlich kritischeren Bilanz der Ära Merkel. Die Grundthese seines schmalen Bandes, der immerhin acht Persönlichkeiten abhandelt: "Selbst die erfolgreichsten Kanzlerschaften enden in Deutschland irgendwie mit schalem Beigeschmack."

Ende der Ära Angela Merkel: Peter Zudeick: Verbrandt, verkohlt und ausgemerkelt. Vom Ende deutscher Kanzlerschaften. Westend-Verlag, Frankfurt 2021. 224 Seiten, 18 Euro. E-Book: 14,99 Euro.

Peter Zudeick: Verbrandt, verkohlt und ausgemerkelt. Vom Ende deutscher Kanzlerschaften. Westend-Verlag, Frankfurt 2021. 224 Seiten, 18 Euro. E-Book: 14,99 Euro.

Vieles wird natürlich bei 72 Jahren Bundesrepublik arg kursorisch betrachtet, viele Namen von einstigen Akteuren sind heute gänzlich unbekannt (werden aber auch nicht näher erklärt). Der Fokus liegt bei Zudeick auf dem jeweiligen Übergang der Macht von einem Kanzler zum anderen. Legendär dabei das jahrelange Gezerre, bis man Konrad Adenauer 1963 zum Amtsverzicht bewegen konnte. Oder bis man Kurt Georg Kiesinger überredet hatte, das Amt vom glücklosen Ludwig Erhard zu übernehmen. Regierungswechsel, die nicht vom Wähler herbeigeführt werden, sind Zudeick aber ein Gräuel - er rechnet zu den "richtigen" lediglich die Schröder-Wahl 1998 und die Merkel-Wahl 2005 - und kommt bei den anderen gern mit nicht so richtig passenden Vokabeln wie "ins Amt geputscht" oder "in Hinterzimmern ausgekungelt".

Abgesehen davon hat es aber durchaus Charme, diese tragödien- oder slapstickartigen Kanzler-Enden nun noch einmal Revue passieren zu lassen. Im Lichte dieser historischen Zäsuren lässt sich der Selbstbestimmtheit von Merkels Abschied von der Macht nochmal mehr abgewinnen, wenngleich das nicht Zudeicks Absicht ist. Der Autor - dessen Sympathie eher Willy Brandt gilt - ist um kritische Urteile über Merkel nicht verlegen ("Als Strategin, als politische Denkerin, gar Vordenkerin ist sie nie aufgefallen." "Sie zieht die Strippen, sie taktiert, sie manipuliert") und sieht sie am Ende auch als Krisenmanagerin gescheitert.

Beide Bücher bieten ein paar Aha-Effekte und "Wusste-ich-gar-nicht"-Momente. Trotzdem: "Sie kennen mich" wird auch im Nachhinein wohl ein frommer Wunsch bleiben.

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