Bundeskanzlerin a.D.:Merkel verteidigt ihre Russland-Politik

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Gegen Ende ihrer Amtszeit reiste Merkel im August 2021 noch auf einen Abschiedsbesuch zu Russlands Präsident Wladimir Putin. (Foto: Alexander Zemlianichenko/AFP)

In einem Interview erklärt die ehemalige Bundeskanzlerin ihre damaligen Entscheidungen - räumt aber ein, das Verteidigungsbudget nicht schnell genug gesteigert zu haben.

Von Stefan Kornelius, München

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat erstmals im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg ein selbstkritisches Urteil über ihre eigene Politik gefällt. In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit sagte sie, "auch wir hätten schneller auf die Aggressivität Russlands reagieren müssen. Deutschland hat das Zwei-Prozent-Ziel trotz Erhöhung nicht erreicht. Und auch ich habe nicht jeden Tag eine flammende Rede dafür gehalten". Merkel bezog sich damit auf die Erhöhung des Verteidigungsbudgets, über die in ihrer Amtszeit mit dem Koalitionspartner SPD gestritten wurde. Sie betonte ausdrücklich, dass die Union als einzige das Wachstumsziel der Nato im Programm geführt habe. Gleichwohl haben "wir für die Abschreckung durch höhere Verteidigungsausgaben nicht genug getan", so die Ex-Kanzlerin im Zeit-Interview.

Merkel steht seit geraumer Zeit unter öffentlichem Druck, ihre Politik gegenüber Russland im Licht des Krieges zu erläutern. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob Deutschland während ihrer Kanzlerschaft zu nachsichtig mit Russland umgegangen ist, und ob es Möglichkeiten gegeben hätte, Präsident Wladimir Putin von einer Invasion des Nachbarlandes abzubringen. Merkel wird vor allem aus der Ukraine vorgeworfen, sie habe 2008 durch ihr Veto die Aufnahme des Landes in das Nato-Partnerschaftsprogramm verhindert und durch die Pipeline Nord Stream 2 eine Nähe und Abhängigkeit zu Russland zugelassen.

Merkel fragt nach Alternativen

Merkel setzt sich nun mit der Kritik auseinander, verwendet aber eine deutlich ausführlichere Passage für die Verteidigung ihrer Entscheidungen. "Ich komme zu dem Ergebnis, dass ich meine damalige Entscheidung in einer auch heute für mich nachvollziehbaren Art und Weise getroffen habe. Es war der Versuch, genau einen solchen Krieg zu verhindern. Dass das nicht gelungen ist, heißt noch lange nicht, dass die Versuche deshalb falsch waren."

In einer für sie typischen Art verlangt Merkel, Alternativen zu ihren damaligen Entscheidungen zu durchdenken. Aus der Perspektive des Jahre 2008 sei ein Nato-Beitritt der Ukraine falsch gewesen, das Land habe die Voraussetzungen dafür nicht mitgebracht. Das Minsker Friedensabkommen von 2014 nach der Besetzung der Krim und des Donbass durch Russland nannte sie einen "Versuch, der Ukraine Zeit zu geben". Die Ukraine von 2014/15 sei nicht die Ukraine von heute, das Land sei stärker geworden, und auch hätten die Nato-Staaten Kiew damals weniger helfen können als sie das heute tun.

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Zur Rechtfertigung der Nord-Stream-Entscheidung nutzt Merkel schon bisher bekannte Argumente: Die Pipeline sei auf privatwirtschaftliche Weise zustande gekommen, der Bau hätte explizit per Gesetz verboten werden müssen. "Eine solche Versagung in Kombination mit dem Minsker Abkommen (hätte) aus meiner Sicht das Klima mit Russland gefährlich verschlechtert." Außerdem sei Deutschland in eine energiepolitische Abhängigkeit zu Russland geraten, weil andere Lieferanten wie die Niederlande oder Großbritannien ihre Lieferungen reduziert hätten.

Merkel betonte, sie halte es für "wohlfeil", sich den Argumenten der Kritiker zu beugen, "nur weil es erwartet wird". Nur um ihre Ruhe zu haben, werde sie nicht sagen "ach stimmt, jetzt fällt's mir auch auf, das war falsch". Kürzlich hatte Merkel dem Spiegel gesagt, dass sie am Ende ihrer Amtszeit politisch zu schwach gewesen sei, um sich gegen Putin durchzusetzen. Ihre eigene Bilanz der Kanzlerschaft will sie in einem Buch ziehen, das 2024 erscheinen soll. Über die Aufregung um ihre Rolle sagt sie, "dass heute sehr schnell über politische Entscheidungen der Vergangenheit gerichtet wird, ohne sich den Kontext in Erinnerung zu rufen und Alternativen kritisch zu prüfen".

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