Süddeutsche Zeitung

Merkel in Polen:Freundlich im Ton, stur in der Sache

Polens umstrittene Rechtsreform hat auch das Verhältnis zu Deutschland belastet. Merkels Besuch beim polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki ist eine Chance herauszufinden, ob sie in Warschau noch verlässliche Partner hat.

Von Florian Hassel, Warschau

Zumindest protokollarisch kommt Polens Regierung den Berliner Gästen entgegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird an diesem Montag in Warschau bei ihrem Antrittsbesuch als neue, alte Kanzlerin nicht nur von ihrem Amtskollegen, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, empfangen, sondern auch vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Schon Bundesaußenminister Heiko Maas traf am vergangenen Freitag in Warschau außer seinem Amtskollegen Jacek Czaputowicz auch den Minister- und den Staatspräsidenten.

Öffentlich setzt die neue Bundesregierung den Diplomatiekurs der alten fort. Kritik an Warschau, etwa an der fortschreitenden Beseitigung des Rechtsstaats, überlässt sie der EU-Kommission. Außenminister Maas, der noch als Justizminister im Sommer 2017 Polens Regierung getadelt hatte, vermied in Warschau nun deutliche Kritik. Stattdessen betonte Maas, Deutschland wolle Europa gemeinsam mit Polen und Frankreich voranbringen. Präsident Duda ergänzte, dem Bundesaußenminister zufolge wolle Berlin versuchen, Paris zur Wiederbelebung des "Weimarer Dreiecks" zu bewegen - also zu gemeinsamen Beratungen zwischen Deutschland, Frankreich und Polen. Die Entscheidung darüber "liegt heute in französischen Händen", sagte Außenminister Czaputowicz.

Auch die Kanzlerin wird wohl - zumindest vor den Kulissen - protokollarische Nettigkeiten über die europäische Zusammenarbeit mit Warschau platzieren. Was das bewirkt, ist freilich eine andere Frage. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die polnische Regierung wegen ihrer Justizgesetze deutlich schärfer als die Bundesregierung kritisiert und konkrete Schritte gegen Warschau gefordert. Dass er sich auf eine Erneuerung des Weimarer Dreiecks einlässt, ist unwahrscheinlich.

Am Dienstag muss Polen der EU erklären, ob und wie rechtswidrige Gesetze zurückgenommen werden

Der Mann, der Polen eigentlich regiert, Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, hat mit dem Austausch des Ministerpräsidenten und des Außenministers um die Jahreswende den Ton geändert: Sowohl Morawiecki als auch Czaputowicz treten, anders als ihre Vorgänger, allzeit höflich und verbindlich auf. An der inhaltlichen Substanz allerdings ändert das nichts. So behauptete Außenminister Czaputowicz beim Treffen mit Maas, die Gesetze seiner Regierung zur Justizreform stimmten "mit dem Recht, den Grundlagen und den Werten der Europäischen Union überein". Dabei hatte die Venedig-Kommission, das weltweit führende Expertengremium für Verfassungs- und Rechtsfragen, noch im Dezember festgestellt, dass jedes größere Justizgesetz und diverse andere Entscheidungen der polnischen Regierungen in den vergangenen zwei Jahren verfassungswidrig seien beziehungsweise dem EU-Recht oder internationalen Rechtsmaßstäben widersprächen. Auch die EU-Kommission konstatierte, Polens Justiz stehe "unter der politischen Kontrolle der regierenden Mehrheit".

Der Besuch der Kanzlerin kommt einen Tag bevor Polen im Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau der EU-Kommission antworten muss, ob und wie sie etliche rechtswidrige Gesetze zurücknehmen will. Doch schon nach seinem Treffen mit Maas hatte Außenminister Czaputowicz bekräftigt: "Derartige Erwartungen sind unrealistisch." Bei einer Rücknahme der Gesetze, wie von der EU-Kommission gefordert, drohe Polen "der Zusammenbruch der gesamten Rechtsprechung", behauptete der Warschauer Chefdiplomat. Bereits am 8. März übergab Ministerpräsident Morawiecki der EU-Kommission ein "Weißbuch zur Reform der polnischen Justiz". Experten der polnischen Juristenvereinigung Iustitia, die Präsidentin des Obersten Gerichts und die Gazeta Wyborcza haben das Weißbuch analysiert - sie sehen es als Anhäufung von Auslassungen, Verdrehungen und Unwahrheiten.

Der Kabinettschef von Präsident Duda, Krzysztof Szczerski, sagte mit Blick auf den Besuch der Kanzlerin, Polen hoffe, dass das Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau nach Artikel 7 der EU-Verträge "so schnell wie möglich beendet" werde, wobei er konkrete Sanktionen wie einen Entzug des polnischen Stimmrechts für Polen ausschloss. Stattdessen müsse "die Diskussion über die Entwicklung Europas" fortgeführt werden. Die Polen erhoffen sich vom Besuch der Kanzlerin offenbar, dass diese nach ihrer Wiederwahl angesichts etlicher anderer außenpolitischer Krisen und Minenfelder im Verhältnis zu Warschau zum Alltagsgeschäft zurückkehrt.

Polens früherer Ministerpräsident Leszek Miller bezweifelt das. Die Besuche der Bundeskanzlerin und des Außenministers in Warschau sieht er als Probe Deutschlands, ob "mit der Regierung von Premier Morawiecki eine Verständigung möglich ist", sagte Miller im polnischen Fernsehen. Es sei gut möglich, dass die Bundeskanzlerin nach ihrer Visite in Warschau "zu dem Schluss kommt, dass sie in Warschau keine Partner hat".

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SZ vom 19.03.2018/akau/liv
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