Merkel in Indien:Von Gandhi lernen

Kanzlerin Merkel in Indien

Kanzlerin Merkel steht neben Narendra Modi, Premierminister von Indien, beim Besuch der Gedenkstätte Gandhi Smriti in Delhi - dem Ort, an dem Gandhi erschossen wurde.

(Foto: dpa)

Während sie in Berlin kritisiert wird, erfährt Kanzlerin Merkel in Delhi Lobpreisungen für ihre Politik und ihre Person.

Von Daniel Brössler, Delhi

Es ist, wie so oft, ein schmaler Grat. Angela Merkel hat sich während ihres vierten Besuches in Indien auf die Spuren des Mahatma Gandhi begeben. Im "Old Birla House", in dem Gandhi die letzten 144 Tage seines Lebens verbracht hat, sogar buchstäblich. Die Bundeskanzlerin folgt dort zusammen mit Premierminister Narendra Modi dem letzten Gang Gandhis zum Gebet am Morgen des 30. Januar 1948, vor seiner Ermordung durch einen Hindu-Nationalisten. In der Gedenkstätte erinnern Tafeln an große Worte des Morallehrers. "Mein Leben ist meine Botschaft", lautet eines.

Es gibt Momente an diesem Tag in Delhi, da wirkt es fast, als sei die Kanzlerin als Pilgerin nach Indien gekommen. Schon ein bisschen entrückt von den Dingen, bereits unterwegs zu ihrem Platz in der Geschichte. Ein wenig darf das vielleicht so wirken. Aber eben nur ein wenig. Das ist der Grat.

Wie sie auf dem zu wandeln gedenkt, offenbart Merkel gleich am Morgen. Nachdem sie an der Einäscherungsstätte Gandhis auf Strümpfen Blumen dargebracht hat, notiert sie zwei schlichte Sätze. "Im Gedenken an Gandhi, der mit seinem Glauben an die friedliche Revolution die Welt verändert hat. Auch bei uns in Deutschland", steht mit der Unterschrift Angela Merkels nun im Gästebuch. Das kann man vielseitig lesen. Innenpolitisch zum Beispiel so, dass die Kanzlerin die friedliche Revolution in der DDR und den Mauerfall, der sich in wenigen Tagen zum 30. Mal jährt, nicht den Nationalisten von der AfD zu überlassen gedenkt. Außenpolitisch funktioniert der Eintrag aber auch. Da dann wohl auch als sachte Mahnung an den hindu-nationalistischen Gastgeber Modi, der die Teilautonomie Kaschmirs und der dort lebenden Muslime gerade recht brachial beendet hat.

Modi preist Merkel als "Freundin Indiens"

Dergleichen trübt aber nicht die Harmonie während der fünften deutsch-indischen Regierungskonsultationen. Premierminister Modi nutzt einen gemeinsamen Auftritt vor der Presse für fast überschwänglichen Dank an Merkel. Er preist ihr Schaffen in anderthalb Jahrzehnten, Angela Merkel als "Freundin Indiens und auch als persönliche Freundin von mir", nennt sie eine "herausragende Anführerin nicht nur in Europa, sondern in der Welt". Die Zukunft der deutsch-indischen Beziehungen zeichnet er in hellen Farben und schreibt das der Tatsache zu, dass Merkel sich als so "fähige Politikerin" erwiesen habe. Merkels Schicksal allerdings ist es, dass in den Schlussjahren ihrer Kanzlerschaft alles, gerade das Lob, auch als Abgesang verstanden werden kann.

Gewisse Szenen scheinen das dann auch noch zu illustrieren. Wie Merkel bei drückendem Smog während des Abspielens der Hymnen mutterseelenallein unter einem Baldachin sitzt, ist so eine Szene. Seit den Zitterepisoden im Sommer absolviert Merkel diese Pflicht stets im Sitzen. Und allein ist sie, weil das bei dieser Zeremonie in Indien so üblich ist. Alles erklärlich also, aber Bilder haben ihre eigene Sprache. Seit der desaströsen Thüringen-Wahl fliegen in der CDU die Fetzen, Merkel selbst steht unverblümt in der Kritik. Die Kanzlerin lasse "politische Führung und klare Aussagen" vermissen, hatte Ex-Fraktionschef Friedrich Merz sie frontal angegriffen. Die Kanzlerin, einsam auf einem Stuhl im fernen Delhi - das scheint folglich zu sitzen.

Andererseits: Beklagen nicht gerade auch die Merkel-Kritiker eine zunehmende Abwesenheit Deutschlands auf internationaler Bühne? Merkel, die auf dem Weg durch die indische Hauptstadt alle paar Hundert Meter von ihrem eigenen Konterfei begrüßt wird, ist jedenfalls immer noch gefragt. Neben viel zu Investitionen, Klimaschutz, Digitalem und auch einem Bekenntnis zur Förderung von Ayurveda und Yoga enthält die 73 Punkte lange Abschlusserklärung jedenfalls auch ein Bekenntnis zu "gemeinsamen Werten und Grundsätzen von Demokratie, fairem und freien Handel und einer regelbasierten Ordnung".

Gegengewichte zu China

Letztlich geht es in Delhi - neben der Hoffnung auf besseres Geschäft - um Bündnispolitik, darum also, Gegengewichte zu schaffen zu einer immer ungenierteren Großmachtpolitik des autoritären China. Merkel lobt Außenminister Heiko Maas(SPD), der in Delhi dabei ist, dafür, dass er Indien in seine Allianz der Multilateralisten geholt hat.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es nur drei Minister sind, die Merkel nach Delhi begleiten: neben Maas sind es Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, Bildungsministerin Anja Karliczek (beide CDU). Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) musste sich nach seinem Sturz entschuldigen. Finanzminister Olaf Scholz ist damit beschäftigt, SPD-Chef zu werden, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer wiederum damit, als CDU-Chefin potenzielle Kanzlerkandidatin zu bleiben.

Wie sie denn die Diskrepanz zwischen Lobpreisung in Delhi und der Kritik in Berlin empfinde, wird Merkel von einer Journalistin gefragt. Hier könnte Gandhi helfen. "Wir müssen stets auf die Kritik an unseren Fehlern und Unzulänglichkeiten hören, nie auf das Lob", hat er gesagt. Eine Tafel an der Einäscherungsstätte erinnert daran, aber die hat Merkel wohl nicht gesehen. Sie freue sich, dass sie "auch in Deutschland für meine Arbeit sehr viel Unterstützung habe". Ansonsten müsse man in einer Demokratie eben auch mit Kritik umgehen.

Zur SZ-Startseite
Russland schafft eigenes ´Staatsnetz"

MeinungInternet in Russland
:Gefährliche Isolation

Russland führt sein "souveränes Internet" ein, das russische Runet. Doch was als Schutz gegen äußere Bedrohungen gepriesen wird, richtete sich auch gegen Kritik von Innen. Wer sichergehen will, der sagt womöglich gar nichts mehr.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: