Süddeutsche Zeitung

Merkel in Griechenland:Heikler Lückenfüller

Reines Kalkül oder echte Entschlossenheit, Athen im Euro-Raum zu halten: Der Besuch von Merkel in Griechenland, der nur durch eine unerwartete Lücke im Kalender zustande kam, wird begleitet von Mutmaßungen über die Beweggründe der Kanzlerin.

Nico Fried, Berlin

Die heikle Reise kommt schneller, als zu erwarten war. Ende August, bevor Antonis Samaras zum Antrittsbesuch nach Deutschland flog, gab sich der neue griechische Ministerpräsident noch zurückhaltend. Natürlich werde er Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Athen einladen, sagte Samaras seinerzeit der Süddeutschen Zeitung, "aber das Timing bespreche ich erst einmal mit ihr".

Die Gespräche über den geeigneten Zeitpunkt währten bis zum Ende der vorvergangenen Woche. Dann verständigten sich die Regierungszentralen in beiden Hauptstädten auf den 9. Oktober. Das wird wohl einer der interessantesten Dienstage im deutsch-griechischen Verhältnis.

Es ist erst die zweite Reise Merkels nach Griechenland in ihrer Kanzlerschaft. Beim ersten Besuch im Sommer 2007 hieß der Ministerpräsident noch Kostas Karamanlis. Man sprach über Kosovo, die Beziehungen zur Türkei - und über U-Boote, die Griechenland bestellt hatte, aber plötzlich nicht mehr abnehmen wollte. Möglicherweise war dies bereits ein Vorbote für die klamme finanzielle Lage Griechenlands. Von einer internationalen Krise jedoch war ein Jahr vor der Pleite der Lehman Brothers in den USA noch keine Rede.

Merkels zweite Reise kam nun durch eine unerwartete Lücke im Terminkalender der Kanzlerin zustande. In Berlin entschied man sich, die Gelegenheit zu nutzen. Anderenfalls wäre Merkel auf Monate hinaus ausgebucht gewesen. Grundsätzlich, so heißt es im Kanzleramt, müsse ein Besuch in einem europäischen Partnerland jederzeit möglich sein. Auch wenn man sich in Berlin keine Illusionen macht, dass die Visite in Athen nicht nur klimatisch kaum mit einem Besuch in Helsinki zu vergleichen sein wird.

In den Anfängen der Krise war Giorgos Papandreou Merkels Ansprechpartner. Obgleich Griechenland in immer größere Schwierigkeiten geriet, galt der Sozialist als verlässlicher Partner, mit dem die Europäische Union, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds auch die ersten Hilfspakete verhandelten. Zur Belastung der Beziehungen wurde das zeitweilige Vorhaben Papandreous, über die Reformen eine Volksabstimmung abzuhalten. Eigentlich hoffte der Premier, damit seinen dauernden Widersacher Antonis Samaras zu disziplinieren. Doch stattdessen wurde Samaras einige Monate und zwei Parlamentswahlen später neuer Regierungschef in Athen.

Bis dahin galt Samaras auch im Kanzleramt als personifiziertes Hindernis auf dem Weg zu Reformen. Die Bedenken waren entsprechend groß, als er an die Macht kam. Nach Samaras' Besuch in Berlin würdigte man zumindest einmal den guten Willen des neuen Premiers. Die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Athen wird als intensiv beschrieben, telefonisch soll es zuletzt immer wieder Kontakt zwischen Merkel und Samaras gegeben haben. Die Kanzlerin hat wiederholt und besonders nach gegenteiligen Äußerungen aus der CSU deutlich gemacht, dass sie Griechenland im Euro-Raum halten will.

In Deutschland steht Merkel mittlerweile aus gegensätzlichen Gründen unter Verdacht: Die einen vermuten, die Kanzlerin rechne sehr wohl mit einem Austritt Griechenlands und zeige sich besonders solidarisch, um sich hinterher nicht vorwerfen zu lassen, sie habe sich nicht für Athen eingesetzt. Eine andere Schule vermutet, Merkel meine es so ernst mit dem Verbleib der Griechen im Euro, dass sie sogar bereit wäre, den Troika-Bericht politisch so zu frisieren, dass eine Fortsetzung der Hilfe möglich würde.

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SZ vom 08.10.2012/cag
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