Merkel in China:Stark, aber nicht stabil

Bundeskanzlerin Merkel in China

Chinesische Soldaten werden vor dem Empfang der Bundeskanzlerin Merkel in Peking vor der Großen Halle des Volkes aufgestellt und exakt zurechtgerückt.

(Foto: dpa)

Nach außen hin gibt sich China als selbstbewusster Partner. Doch im Inneren wird das Land vom Gefühl einer alles durchdringenden Krise beherrscht. Auch Staatspräsident Xi konnte daran bisher nichts ändern - seine harte Linie sorgt nur für Friedhofsruhe.

Ein Kommentar von Kai Strittmatter

Es ist eine Binsenweisheit, dass der Westen ein Interesse hat an der Stabilität Chinas. Die für westliche Demokratien grundlegende Frage ist diese: An welchem Punkt schlägt das Interesse an der Stabilität des Landes um in ein Interesse an der Stabilität des Regimes? Jetzt, da Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut China besucht - zum siebten Mal -, lohnt es erneut, über die Frage nachzudenken. Eine feine Linie ist das, über die nicht wenige aus dem Westen immer wieder hinübertrippeln.

Ein faszinierendes Phänomen im Falle Chinas ist die Kluft zwischen Außen- und Binnenwahrnehmung. Bei nicht wenigen in Europa herrscht noch immer das Bild des vor Selbstbewusstsein strotzenden, unaufhaltsam aufsteigenden, bald die Welt dominierenden Chinas vor - eine Vorstellung, die Peking vortrefflich für seine Ziele zu nutzen weiß. Die Blindheit und Blauäugigkeit, mit der viele der westlichen Wirtschaftsführer und Politiker China begegnen, nicht selten Pekings Propaganda nachplappern und sich für sie einspannen lassen, ist immer wieder verblüffend. Bei allem Pragmatismus gegenüber China ist Kanzlerin Merkels Grundskepsis gegen autoritäre Regime da eher die wohltuende Ausnahme.

Noch einmal: Es geht hier erst einmal nicht um eine Frage der politischen Ethik, also darum, wie sehr etwa eine Regierung bereit ist, der Geschäfte wegen ihre Werte zu verraten. Es geht zuallererst um die Frage: Wie genau schauen wir eigentlich hin? China selbst nämlich ist seit einigen Jahren schon von dem Gefühl einer alles durchdringenden Krise gepackt. Ein Gefühl, das die Gesellschaft durchzieht, das aber auch die Kommunistische Partei selbst erfasst hat, und das vieles erklärt, was den neuen starken Mann Xi Jinping antreibt.

Xi will die Krise bekämpfen, ist aber selbst Gefangener des Systems

Einerseits ist ein akutes Gefühl der Krise und Unsicherheit nicht verwunderlich in einem Land, das sich solch historischem Wandel unterwirft. Ein Urbanisierungsschub von dem Ausmaß und der Geschwindigkeit wie China ihn sich zumutet, würde überall auf der Welt Verwerfungen auslösen. Andererseits ist ein nicht geringer Teil der Krise dem System geschuldet.

Missstände wie die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm, die schamlose Selbstbereicherung der Eliten, die wuchernde Korruption, die Vergiftung von Luft, Böden und Lebensmitteln sind in ihrem erschreckenden Ausmaß der Ausfluss eines Systems, das keine Transparenz kennt, vor allem aber keine Überwachung durch unabhängige Medien oder eine unabhängige Justiz; eines Systems, in dem am Ende keiner zur Verantwortung gezogen wird. Chinas Politik ist, wie sich immer mehr zeigt, nicht nachhaltig.

Xi Jinping ist angetreten, diese Krise zu bekämpfen. Der Partei- und Staatschef hat sich in den ersten bald zwei Jahren als zupackender und geschickter Machtstratege präsentiert, er hat der Korruption den Kampf angesagt und die Macht wieder zentralisiert. Gleichzeitig bleibt er ein Gefangener des Systems, der vor allem ideologische Appelle und Träume anzubieten hat, wo echte Reformen notwendig wären. Mittlerweile ist eine klare Handschrift Xis zu erkennen: Er fährt eine härtere Linie als seine Vorgänger sowohl nach innen als auch nach außen.

Der Führung geht es darum, die Opposition auszulöschen

Die Repression hat unter ihm zugenommen. Das trifft vor allem die Zivilgesellschaft. Unter Xi reicht es mittlerweile, die KP zu mahnen, sich an Chinas Verfassung zu halten, um im Gefängnis zu landen. Verhaftet werden längst die Moderaten, Rechtsanwälte wie Xu Zhiyong oder Pu Zhiqiang. Den alten Führern habe es gereicht, diese Leute zu kontrollieren, sagt der Rechtsanwalt Teng Biao, Xi Jinping aber wolle die Zivilgesellschaft "auslöschen". Die KP setzt neben allem Zuckerbrot also verstärkt auf Furcht, um ihre Herrschaft zu sichern. Das schafft erst einmal Friedhofsruhe. Aber Stabilität?

Außenpolitisch galt lange die These, China sei mit seinen gewaltigen inneren Herausforderungen viel zu beschäftigt, um sich in der Region und der Welt groß zu engagieren. Unter Xi Jinping nun wird andersherum ein Schuh daraus: Er überrascht und beunruhigt die Nachbarn mit seiner deutlich aktiveren, aggressiveren Politik im Süd- und Ostchinesischen Meer. Wahrscheinlich liegt man nicht falsch, wenn man sagt, Xi verfolge diese Politik der nationalen Stärke gerade wegen all der innenpolitischen Probleme. Die KP hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen scharfen Nationalismus hochgezüchtet; Säbelrasseln und Großmachtgehabe kommen gut an beim heimischen Publikum, sie lenken ab.

Xi Jinpings Versprechen ist das der Stabilität. Dabei setzt er die Stabilität des Landes gleich mit der Stabilität der Herrschaft seiner Partei. Tatsächlich sät die Politik der KP an vielen Fronten die Keime für zukünftige Instabilität.

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