Süddeutsche Zeitung

Merkel in China:Kritik in Geschenkpapier

Kanzlerin Merkel befolgt bei ihrem Besuch in China die eherne Regel, den Gastgeber nicht bloßzustellen. Trotzdem offenbart ihr Treffen mit Premier Li bisher ungekannte Dissonanzen.

Von Nico Fried, Peking

So richtig rund läuft das noch nicht mit den beiden. Li Keqiang, der chinesische Ministerpräsident, hat eben in der Pressekonferenz mit Angela Merkel zwei Fragen eines deutschen Reporters beantwortet. Und obwohl eine davon ausdrücklich an die Kanzlerin gerichtet war, sagt Li, es sei nicht mehr nötig, dass Merkel noch etwas sage. Es ist schwer zu erkennen, ob er das nur als Scherz meint, um die Einigkeit zwischen China und Deutschland zu unterstreichen. Jedenfalls schaut die Kanzlerin ein bisschen irritiert und sagt dann lächelnd, sie werde es sich nicht nehmen lassen, zu antworten.

Als nächstes ist eine chinesische Reporterin dran. Ihre Fragen sind beide auch an Merkel gerichtet, aber jetzt findet Li plötzlich, der Gast aus Deutschland müsse nur auf eine antworten. Es entsteht Konfusion, weil auch die Simultan-Übersetzerin nicht folgen kann. Dann reicht es der Kanzlerin: "Ich sag jetzt einfach, was ich möchte."

Die Szene spielt am Montag in der großen Halle des Volkes. Sie markiert das Ende der vierten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Schon die Begrüßung mit militärischen Ehren war wegen des regnerischen Wetters ins Innere verlegt worden. Wem das als Symbolik für eine gewisse Eintrübung auch im Verhältnis der beiden Staaten nicht ausreichte, der bekommt sie in der Pressekonferenz noch etwas deutlicher zu sehen.

Deutsche Unternehmen haben es in China oft nicht leicht. Das sollte sich ändern, fordert Merkel

Nun ist es ja nicht so, dass Merkel ihren Gastgeber bloßstellen würde. Dass man einen Asiaten nie sein Gesicht verlieren lassen darf, ist eine Lektion, die in Deutschland fast jeder lernt, der zum Chinesen geht, und sei es nur das Peking-Restaurant um die Ecke. Merkel wiederum ist nun bereits das neunte Mal in China und hat diese Regel längst verinnerlicht. Deshalb wickelt sie ihre Kritik ein wie in Geschenkpapier, würdigt die Beziehungen, vergisst keines der Schlagworte vom gemeinsamen Aktionsplan bis zur Innovationspartnerschaft und lobt mal die Verbreiterung, mal die Vertiefung der Zusammenarbeit und einmal sogar, dass sich die verbreiterte Zusammenarbeit noch vertiefen lasse.

Aber Merkel erwähnt eben auch ein paar Themen, zu denen Li nichts gesagt hat. Den Rechtsstaatsdialog, zum Beispiel, und die Gespräche über Menschenrechte, beides äußerst mühsame Unterfangen. Sie spricht über das neue Gesetz für ausländische Nichtregierungsorganisationen, von dem Kritiker sagen, es werde künftig jede zivilgesellschaftliche Veranstaltung unter verschärfte Polizeikontrolle stellen. Li Keqiang hat die Sache vorher so zusammengefasst: Meinungsunterschiede hätten an den Beziehungen nur "einen winzigen Anteil". Angela Merkel sagt: "Es gibt Unterschiede, es gibt Fragen."

Immer stärker betreffen diese Fragen auch den Bereich, der bislang so gut vorangekommen ist: die Wirtschaft. Natürlich werden wieder einige Verträge unterzeichnet - mittlerweile eine Prozedur von höchster Effizienz. In einem Affenzahn verliest ein chinesischer Beamter in beiden Sprachen, um was es geht und wer unterzeichnet, Vertrag hier, Memorandum of Understanding da, strategische Zusammenarbeit dort, wobei der Vorleser auch von den Doppelnamen sozialdemokratischer Staatssekretärinnen wie Lösekrug- Möller oder Schwarzelühr-Sutter nicht aufzuhalten ist. Dann setzen sich jeweils vier Zeichnungsberechtigte an den Tisch und unterschreiben die Dokumente. Händeschütteln, Foto, fertig. Sieht aus wie Speed Dating. Doch es wird auch debattiert, über den Status einer Marktwirtschaft für China zum Beispiel. Der würde China besser vor Anti-Dumping-Verfahren schützen. Diese Forderung wiederholt Li Keqiang mehrfach und nimmt sogar das Wort vom Handelskrieg in den Mund. Den wolle man natürlich nicht, sagt Li. Und Deutschland könne "eine positive Rolle" dabei spielen, ihn zu verhindern. Aber auch Merkel kann anders. Ihr Stichwort heißt Reziprozität, ein eingedeutschter Begriff aus dem Lateinischen, den man auch als Fach-Chinesisch bezeichnen kann. Was die Kanzlerin damit meint, illustriert sie auf dieser Reise gerne an der Firma Kuka: Dass ein chinesischer Investor den Roboterbauer aus Augsburg übernehmen könne, ist für Merkel ein Beweis für die Offenheit des deutschen Marktes. Genau deshalb verlangt sie aber auch, genau: Reziprozität. Sprich: Dass auch deutschen Firmen in China der Markt in vergleichbarer Weise offenstehen müsse. Stattdessen müssen ausländische Investoren bis heute häufig einen chinesischen Partner in ein Joint Venture holen. Auf die Nerven geht deutschen Unternehmen auch, dass das Internet in China nur eingeschränkt genutzt werden kann, sowie die Sorge vor Cyber-Angriffen.

Im Herbst kommt Merkel zum zehnten Mal nach China, das dann den G-20-Gipfel ausrichtet. Dann wird die Zusammenarbeit allein schon wegen der vielen Teilnehmer verbreitert. Und vielleicht auch wieder vertieft.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2016
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