Süddeutsche Zeitung

Merkel in China:"Humanität" im Hausarrest

Wie hält es Peking mit den Menschenrechten? Auf der China-Reise der Kanzlerin geht es um die abgeschottete Dichterin Liu Xia, das Staatsfernsehen blendet an dieser Stelle aus. Dann wird bekannt, dass ein anderer Dissident am Treffen mit der Kanzlerin gehindert wird.

Von Kai Strittmatter, Peking

Wenn die chinesische Regierung in den vergangenen Monaten nach Liu Xia gefragt wurde, der Dichterin und Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, dann konnte man unter anderem diese Antworten hören: Liu Xia ist eine freie Frau, die hingehen kann, wo es ihr gefällt. Oder: Liu Xia genießt alle Rechte einer chinesischen Staatsbürgerin. Am Donnerstag kam noch eine weitere Antwort hinzu: "Auch Humanität liegt uns sehr am Herzen". Chinas Premier Li Keqiang sagte das bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel, befragt nach dem Schicksal der Verschwundenen.

Liu Xia ist seit acht Jahren in Hausarrest und Isolation verschwunden. Gegen die 59-jährige Dichterin und Fotografin liegt nichts vor, es wurde nie Anklage irgendeiner Art gegen sie erhoben. Ihr einziges Vergehen war es, mit dem Mann verheiratet zu sein, den China eine Zeit lang als Staatsfeind Nummer eins zu betrachten schien: Den Essayisten Liu Xiaobo, den die Kommunistische Partei wegsperrte, nachdem er gemeinsam mit Freunden eine "Charta 08" aufgesetzt hatte, in der sich mehr als 300 Unterzeichner ein demokratisches und freies China ausmalten. Anfangs war sie frei, aber dann erhielt Liu Xiaobo 2010 den Friedensnobelpreis - und von da an schottete Chinas Staatssicherheit sie von der Außenwelt ab.

Anfangs war Liu Xia komplett isoliert, in den letzten Jahren durfte sie mit einigen von den Behörden gutgeheißenen Freunden Kontakt halten. 2017 dann starb Liu Xiaobo in Gefangenschaft, seither machen sich ihre Freunde große Sorgen um sie: Sie hat abgenommen, leidet an schweren Depressionen, nimmt viele Medikamente, um überhaupt durch die Nächte zu kommen.

Enttäuschte Hoffnungen

Die deutsche Bundesregierung und Diplomatie setzt sich seit Längerem für Liu Xia ein. Vor zwei Wochen erst versuchten Diplomaten von fünf europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, die "freie Frau" Liu Xia zu Hause zu besuchen - ein Versuch, dem sich Beamten des Sicherheitsapparats in den Weg stellten. Ihr selbst war offenbar von Seiten der Behörden Anfang des Jahres signalisiert worden, einer Ausreise nach Deutschland spätestens im April stehe nichts mehr im Wege - auch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Ihrem Freund Liao Yiwu, einem im deutschen Exil lebenden chinesischen Schriftsteller, sagte sie daraufhin am Telefon, sterben sei nun einfacher als zu leben.

China schütze natürlich die Menschenrechte, sagte Premier Li Keqiang am Donnerstag noch, den Namen Liu Xias nahm er nicht in den Mund. Und das chinesische Staatsfernsehen blendete sich an diesem Teil aus.

Am Abend traf Merkel eine Gruppe von Bürgerrechtsanwälten und Angehörige von Inhaftierten. Zuvor war bekannt geworden, dass die Sicherheitsbehörden den bekannten Bürgerrechtler Hu Jia unter Hausarrest gestellt hatten, um ein mögliches Treffen mit Merkel zu verhindern. "Sie sagten mir ausdrücklich, dass sie wüssten, dass ich eingeladen sei, deswegen diese Maßnahme", sagte der Bürgerrechtler am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Hu Jia ist einer der Freunde von Liu Xia.

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SZ vom 25.05.2018
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