Merkel in China:Das Hongkong-Dilemma

Muss Merkel beim Besuch in Peking für die Freiheit der Menschen in Hongkong eintreten? Die Frage greift viel zu kurz. Deutschland muss die wirtschaftliche Abhängigkeit von China vermindern - denn auf lange Sicht geht es um die eigene Freiheit.

Von Lea Deuber

Oppositionspolitiker in Berlin fordern Bundeskanzlerin Angela Merkel nun dazu auf, bei ihrer Reise nach Peking die Lage in Hongkong offen anzusprechen. Deutschland müsse sich für die Menschen einsetzen, die dort um ihre Freiheit kämpfen. Das wäre einerseits richtig - und trotzdem ist die Forderung verlogen.

Deutschland steckt in einem Dilemma. Heimische Firmen haben sich durch hohe Investitionen in den vergangenen Jahrzehnten an den chinesischen Markt gekettet. Kaum ein Land hat inzwischen engere Wirtschaftsbeziehungen mit China als Deutschland. Vom chinesischen Markt abhängig zu sein heißt, auf den guten Willen der Kommunistischen Partei angewiesen zu sein. Wenn Merkel also Ende der Woche in Peking zu Hongkong schweigt, handelt sie nicht gegen deutsche Interessen, sondern, auch wenn das zynisch klingen mag, zunächst einmal im Sinne dieser Interessen. Geübt ignorieren Politik und Wirtschaft seit Jahren die Lage in Tibet, die Internierungslager in Xinjiang und die Verfolgung Andersdenkender im ganzen Land. Die Verwunderung deutscher Firmen ist beschämend ehrlich, wenn sie sich fragen, warum sich so mancher Politiker nun plötzlich für die Lage in Hongkong interessiert. Hinter den Kulissen flehen die Konzerne Berlin regelrecht an, sich zurückzuhalten.

Wer nun also im Zusammenhang mit Hongkong von Werten spricht und Merkel in der Pflicht sieht, muss sich erst eine andere Frage stellen: Sind sie selbst und sind die Menschen in Deutschland wirklich bereit, den wirtschaftlichen Erfolg des Landes als Exportnation zu gefährden, um dafür freiheitliche Werte und die Demokratie am anderen Ende der Welt zu verteidigen? China bestraft Staaten, die es wagen, das Regime in Peking zu kritisieren. Ein härterer Kurs gegenüber China würde in Deutschland Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum kosten. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Nicht in Hongkong, nicht in Deutschland.

Gleichzeitig spricht viel für einen härteren Kurs gegenüber Peking. China weitet seinen Einfluss in der Welt aus. Es macht, was es will, nimmt sich, was es kriegen kann, verweigert jede Verantwortung oder akzeptiert diese nur, wenn es gerade passt. Chinas Aufstieg ist auf lange Sicht eine Gefahr für liberale Demokratien wie Deutschland. Was also tun?

Deutschland braucht eine neue Strategie im Umgang mit dem Regime in Peking

Die Hoffnung auf Wandel durch Handel hat sich als trügerisch erwiesen. Deutschland braucht eine neue Strategie, um die Abhängigkeit zu vermindern. Angst ist kein guter Ratgeber. Eine andere Chinapolitik müsste nicht zwingend eine Entkopplung der Systeme bedeuten. Es braucht keinen kalten Krieg, sondern klare Grenzen. Bei Übernahmen in Deutschland etwa, bei Investitionen und dem Bau von kritischer Infrastruktur. Dafür muss sich Deutschland aber beeilen. Solange China auf deutsche Technologie angewiesen ist, hat Berlin noch Einfluss auf die KP. Diesen Hebel muss es nutzen.

China hat verstanden, worum es geht. Präsident Xi Jinping schwor seine Landsleute diese Woche darauf ein, womöglich auf Jahrzehnte in einen Systemkampf mit dem Westen zu geraten. Für die KP geht es um alles oder nichts.

Den Deutschen sollte der Fall Hongkong zeigen, dass nicht ehrlich über die Beziehungen zu China gesprochen wird. Die Menschen müssen sich fragen, wie viel sie langfristig bereit sind, für ihre eigene Freiheit zu opfern.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: