Süddeutsche Zeitung

Harvard-Würden für Merkel:"Mauern können einstürzen"

  • Kanzlerin Merkel hat an der Harvard-Universität die Ehrendoktorwürde in Jura erhalten.
  • In ihrer Rede appellierte sie an die internationale Zusammenarbeit und den freien Welthandel.
  • Die internationale Gemeinschaft rief sie zu einem leidenschaftlichen Einsatz für Demokratie und Werte auf.
  • US-Präsident Trump erwähnte sie nicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat an der US-Eliteuniversität Harvard die internationale Zusammenarbeit und den freien Welthandel beschworen. "Mehr denn je müssen wir multilateral statt unilateral denken und handeln", sagte Merkel unter dem Jubel von etwa 20 000 Absolventen, Angehörigen und Professoren an der Hochschule in Cambridge, einem Vorort von Boston.

Gehandelt werden müsse global statt national, weltoffen statt isolationistisch - "gemeinsam statt alleine". Protektionismus und Handelskonflikte gefährdeten den freien Welthandel und damit die Grundlage des Wohlstands, warnte Merkel, ohne US-Präsident Donald Trump zu nennen.

Mit Blick auf den von Menschen verursachten Klimawandel und die daraus folgenden Krisen sagte die Kanzlerin, man müsse "alles Menschenmögliche tun, um diese Menschheitsherausforderung wirklich in den Griff zu bekommen". Noch sei dies möglich. "Doch dazu muss jeder seinen Beitrag leisten", sagte Merkel. "Das sage ich auch selbstkritisch" - man müsse hier besser werden. Sie werde sich deshalb "mit ganzer Kraft" dafür einsetzen, dass Deutschland 2050 das Ziel der Klimaneutralität erreichen werde. "Veränderungen zum Guten sind möglich, wenn wir sie gemeinsam angehen. In Alleingängen wird das nicht gelingen."

Die internationale Gemeinschaft rief sie zu einem leidenschaftlichen Einsatz für Demokratie und Werte auf. Freiheit, Demokratie, Frieden und Wohlstand seien nicht selbstverständlich, rief Merkel in ihrer ungewöhnlich emotionalen Rede. "Nichts ist selbstverständlich", warnte Merkel. "Aber wenn wir die Mauern, die uns einengen, einreißen, wenn wir ins Offene gehen und Neuanfänge wagen, dann ist alles möglich." "Mauern können einstürzen", Diktaturen verschwinden, die Erderwärmung könne gestoppt, der Hunger besiegt und Krankheiten könnten ausgerottet werden, rief Merkel den Absolventen zu.

Lügen nicht Wahrheit nennen und nicht Wahrheit Lügen

Menschen und vor allem Mädchen müsse Zugang zu Bildung verschafft werden, man könne die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpfen - "das alles können wir schaffen". Die Kanzlerin betonte: "Fragen wir nicht zuerst, was nicht geht, sondern was möglich ist."

Die Kanzlerin rief zu "Wahrhaftigkeit gegenüber anderen und uns selbst" auf. "Dazu gehört, dass wir Lügen nicht Wahrheit nennen und nicht Wahrheit Lügen." Für diese Aussage bekam sie starken Beifall. Viele Zuhörer standen auf und applaudierten. Man müsse fest zu den unveräußerlichen Werten stehen und danach handeln. Bei allem Entscheidungsdruck dürfe man nicht immer den ersten Impulsen folgen, "sondern zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause machen".

Vor ihrer Rede erhielt Merkel die Ehrendoktorwürde in Jura der Eliteuniversität. Uni-Präsident Larry Bacow verlieh Merkel die Auszeichnung bei einer feierlichen Zeremonie. Bacow nannte Merkel eine der "einflussreichsten Staatsleute unserer Zeit". Die Universität würdigte unter anderem, dass Merkels bisherige Amtszeit von Pragmatismus und kluger Entschlossenheit geprägt gewesen sei.

Explizit lobte die Universität Merkels Slogan "Wir schaffen das" in der Flüchtlingskrise, der ihr in Deutschland viel Kritik eingebracht hatte. Merkels Entscheidung, in großer Zahl Migranten und Flüchtlinge ins Land zu lassen, habe ihren Willen gezeigt, für das einzustehen, was sie für richtig halte - auch wenn dies unpopulär sei. Das Gleiche gelte auch für ihr Vorgehen in der europäischen Schuldenkrise. Merkel bekam auch bei der Verleihung viel Applaus. Während der Ehrung brandete mehrfach Beifall von Absolventen und anderen Zuhörern auf.

Ein Treffen mit Trump ist bei Merkels Kurzbesuch in den USA nicht geplant. Nach Angaben eines deutschen Regierungssprechers hatte die US-Seite frühzeitig mitgeteilt, dass der Präsident an diesem Tag nicht in Washington sein werde. Trump wollte am Donnerstag vor Absolventen der US Air Force Academy im US-Bundesstaat Colorado sprechen - fast 3000 Kilometer von Harvard entfernt.

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