Merkel im CDU-Wahlkampf:Ach ja, wir haben noch nicht gewonnen

Merkel im CDU-Wahlkampf: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihren Wahlkampf jetzt auch offiziell begonnen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihren Wahlkampf jetzt auch offiziell begonnen.

(Foto: AFP)
  • Bundeskanzlerin Merkel steigt in Dortmund offiziell in den Wahlkampf ein.
  • Sie ermahnt die Parteimitglieder: Die Wahl sei noch nicht gewonnen.
  • Die von SPD-Kanzlerkandidat Schulz geforderte E-Auto-Quote lehnt Merkel ab.

Von Hannah Beitzer

Ganz am Schluss, als ihre Rede eigentlich schon vorbei ist, fällt Angela Merkel doch noch etwas ein: "Ich hätte beinahe vergessen zu sagen, dass die Wahl noch nicht entschieden ist und dass wir natürlich jede Stimme brauchen." Das muss offenbar extra betont werden: Die Wahl ist noch nicht entschieden, Merkel und die CDU haben noch nicht gewonnen. Die Wahlumfragen suggerieren freilich etwas anderes, aber der Wahlkampf fängt offiziell erst an.

Die Kanzlerin eröffnet ihn in Dortmund, eigentlich SPD-Kernland, aber im Mai haben die Sozialdemokraten hier die Landtagswahl verloren. In der Westfalenhalle redet Merkel auf Einladung des Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), also des Sozialflügels der CDU.

Es geht, dem Gastgeber entsprechend, viel um Arbeit: um den Mindestlohn, um Leiharbeit, um die Rente und die Digitalisierung der Arbeitswelt. Es geht aber auch darum, welche Botschaft Merkel - und mit ihr die CDU - in den kommenden Wochen aussenden will. "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben" ist der Slogan der Kanzlerinnenpartei.

Dieses Land, das wird während des Auftritts deutlich, liegt für Merkel nicht in ferner Zukunft. Sondern es ist schon Realität und hat allenfalls ein paar Verschönerungen nötig. Klar, wer bereits seit zwölf Jahren regiert, der kann nicht allzu sehr darauf herumreiten, was alles mies ist. Sondern muss das betonen, was er erreicht hat.

Zum Beispiel in Sachen Arbeitslosigkeit: Seit der Übernahme ihrer Kanzlerschaft habe sich die Arbeitslosigkeit halbiert. Im März 2006 seien es mehr als fünf Millionen Arbeitslose gewesen, sagt Merkel. "Heute haben wir 44 Millionen Erwerbstätige in Deutschland. Das sind richtig tolle Zahlen."

Oder in Sachen Bezahlung: "Der Mindestlohn hat vielen Menschen mehr Sicherheit gebracht." Der Mindestlohn, eigentlich ein SPD-Projekt. Das sagt Merkel natürlich nicht. Überhaupt erwähnt sie die Konkurrenz kaum mit einem Wort. Auch in der Leiharbeit habe die Regierung "Leitplanken gesetzt" - wenngleich noch nicht genug: "Es bedarf politischen Eingreifens, weil sonst Lücken in einer Weise genutzt werden, die nicht akzeptabel ist", sagt Merkel.

Dennoch findet sie: "Die Situation ist so, dass wir gerade ganz gut dastehen." Ganz in ihrem typischen, umständlichen Sound, über den sich inzwischen aber niemand mehr lustig macht. Was früher noch als hölzern galt, gilt heute als bodenständig. Und mit der Bodenständigkeit wirbt ja schließlich auch der andere, der SPD-Kanzlerkandidat, wie heißt der noch gleich? Martin Schulz. Merkel erwähnt seinen Namen in ihrer Rede kein einziges Mal.

Sie ist ja auch nicht immer so umständlich, zum Beispiel beim Thema Digitalisierung, das ihr besonders am Herzen liegt: "Ich weiß nicht, ob Sie sich alle schon daran gewöhnt haben, dass am Abendbrot jeder unter dem Tisch auf sein Smartphone guckt", sagt sie und die Zuschauer lachen. Sie lachen noch mehr als Merkel witzelt: "Wer nicht so gut einparken kann, kann es ja heute schon automatisch versuchen. Ich spreche da vor allem die Männer an."

Kosmetik braucht das Land

Sie wird wieder ernst und sagt: "Vor allem für die Jungen ist das eine große Chance. Aber was ist mit denen, die sagen: Es soll alles immer schneller, immer besser gehen: Komme ich da noch mit?" Und klar, es gebe gerade in der Digitalisierung in Deutschland noch einiges aufzuholen.

Zum Beispiel bewege sich die deutsche Verwaltung in Sachen Digitalisierung im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld. "Aber vielleicht ist es auch schwer in Ländern, wo die Verwaltung eigentlich funktioniert, zu sagen: Jetzt machen wir alles neu." Da ist es wieder: Das Bild vom Deutschland, das gut funktioniert, an dem man aber nur Kleinigkeiten ändern muss. Kosmetik braucht das Land.

Mit dieser Taktik stößt sie an ihre Grenzen, wo es um Dinge geht, die ganz und gar nicht funktionieren. Stichwort: Diesel-Skandal. "Weite Teile der Automobilindustrie haben unglaubliches Vertrauen verspielt", sagt sie dazu. Man könne da nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, denn: "Ehrlichkeit gehört zur sozialen Marktwirtschaft." Die Unternehmen müssten außerdem in neue Technologien investieren, wenn sie überleben wollten.

Irgendwann im Lauf der Rede kommt dann ein etwas seltsamer Passiv: "Da muss gehandelt werden." Wer soll handeln? Und wie soll dieses Handeln aussehen? Das dürfte die Zuschauer im Saal durchaus interessieren, schließlich stehen Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Eine Quote für E-Autos, wie sie SPD-Kandidat Martin Schulz unlängst vorgeschlagen hat, lehnt Merkel ab. "Ich glaube nicht so richtig, dass die Quote für E-Autos richtig durchdacht ist", sagt sie. "Dann verhandelt man ewig in Europa. Und was machen wir denn, wenn sie nicht eingehalten wird? Darf man dann keine Benziner mehr kaufen?" Nein, nein. "Wir müssen einen vernünftigen Weg finden, in dem die Autoindustrie die Hauptverantwortung trägt."

Das ist nun nicht besonders konkret, aber gefährlich werden kann ihr das Thema im Wahlkampf mit der SPD auch nicht. Die hängt schließlich in Gestalt des niedersächsischen Ministerpräsidenten und VW-Aufsichtsrats Stephan Weil im Diesel-Skandal mit drin.

Gefährlich werden kann ihr allenfalls die Stimmung in der eigenen Partei, die sich des Sieges allzu gewiss ist. Deswegen der nachgeschobene Satz am Ende der Rede: jede Stimme zählt. Deswegen sagt sie auch: "Wir müssen werben, wir müssen kämpfen, wir müssen eintreten für unsere Anliegen." Werben und eintreten für die Anliegen, das klappt schon ganz gut. Aber wie war das im Mittelteil? Für einen echten Kampf braucht es eigentlich zwei.

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