Süddeutsche Zeitung

Merkel:Eine Demütigung

Die Abwahl ihres Vertrauten Volker Kauder vom Unions-Fraktionsvorsitz ist ein Schlag für die Kanzlerin. Sie muss überlegen, die Vertrauensfrage zu stellen.

Von Nico Fried

Für gewöhnlich antwortet Angela Merkel auf die Frage, wie sie ihre Nachfolge regeln wolle: gar nicht. Die Union werde das schon alleine hinkriegen, wie in der Vergangenheit auch. Doch ganz ohne Möglichkeiten ist die CDU-Vorsitzende nicht. Merkel hat am Anfang ihrer letzten Legislaturperiode als Kanzlerin ihre politische Vertraute Annegret Kramp-Karrenbauer in eine günstige Position gebracht, ohne andere Ambitionierte zu benachteiligen. Und sie möchte gewiss am Ende auch durch Zeitpunkt und Art ihres Abschieds Einfluss nehmen, so sie denn beides selbst bestimmen kann. Doch daran muss man inzwischen ernste Zweifel haben.

Die Unionsfraktion hat Merkel am Dienstag die Gefolgschaft in einer Weise verweigert, wie sie es in 13 Jahren noch nie gewagt hat. Der Sieg von Ralph Brinkhaus über Volker Kauder bei der Wahl des neuen Fraktionsvorsitzenden hat nicht nur überrascht. Er ist ein Einschnitt in der Kanzlerschaft Merkels, der noch tiefer reicht als ihr außergewöhnliches und öffentliches Bedauern über Fehler in der Causa Maaßen am Tag zuvor. Merkel hat ihren politischen Weggefährten Kauder nicht nur wieder als Fraktionschef vorgeschlagen, sie hat sich auch in der Sitzung noch einmal für ihn starkgemacht. Alle Abgeordneten wussten, was auf dem Spiel stand. Doch eine deutliche Mehrheit hat nicht mehr auf ihre Kanzlerin gehört.

Dieses Ergebnis ist eine Demütigung für Merkel und auch für CSU-Chef Horst Seehofer, der Kauder mit der CDU-Vorsitzenden gemeinsam vorgeschlagen hat. Es war einer der seltenen Momente der Einigkeit zwischen den beiden. Und ausgerechnet den hat nun die Bundestagsfraktion kaputtgemacht. Die Einheit, die im Wort von der Union steckt, sie besteht nicht mehr - nicht mehr zwischen den Vorsitzenden, nicht mehr zwischen CDU und CSU, nicht mehr zwischen Führung und Fußvolk, nicht mehr in der Fraktion. Die SPD hat ihrem Kanzler Gerhard Schröder nicht einmal in schwersten Zeiten so eine brutale Niederlage beigebracht. Das kann in der Union nicht folgenlos bleiben.

In den vergangenen Jahren war die Wahl des Vorsitzenden eine Formsache. Natürlich machten auch da schon unzufriedene Abgeordnete ihrem Unmut Luft, straften den Fraktionschef gegebenenfalls mit einem schlechten Ergebnis, meinten aber meistens Merkel. Bei Volker Kauder bot sich dieser Umweg besonders an, weil er vom ersten Tag der Kanzlerschaft und auch schon in vielen Jahren vorher stets einer ihrer engsten und verlässlichsten Mitarbeiter war. Kauder wollte nie Minister werden, weil er sich als leidenschaftlichen Parlamentarier sieht. Sein Verständnis von der Fraktionsarbeit war allerdings stärker auf die Unterstützung der Regierung gerichtet als auf eine möglichst eigenständige Rolle der Abgeordneten.

Die Umstände der jetzigen Wahl waren in vielerlei Hinsicht anders als in der Vergangenheit. Es gab einen Gegenkandidaten. Allein das wirkt nach den Gepflogenheiten in der Union fast schon wie Frevel. Bei vielen Abgeordneten hatte sich mehr Verdruss aufgestaut. Besonders bemerkenswert ist, dass sich von 246 nur zwei Abgeordnete der Stimme enthalten haben und lediglich sieben der Abstimmung ferngeblieben sind. Wer Kauder nicht mehr wollte, ist nicht - wie bei anderen Wahlen - im entscheidenden Moment auf eine Zigarette oder aufs Klo gegangen. Man kann nicht sagen, wie viele Unionisten wirklich Brinkhaus wollten - aber alle, die ihn gewählt haben, nahmen das Signal in Kauf. Das Signal gegen Merkel.

Auch den Wahlkämpfern von CDU und CSU in Hessen und Bayern dürfte diese Abstimmung feuchte Augen bereiten - und das nicht vor Freude. Der Rückenwind aus Berlin ist seit Tagen eher ein Wirbelsturm, der den eigenen Leuten ins Gesicht bläst. Und noch mehr Geschädigte gibt es zu besichtigen: Denn diese Wahl war auch eine Wegmarke im mehr oder weniger verdeckten Wettbewerb um die beste Ausgangsposition für die Zeit nach Merkel. Mit Ralph Brinkhaus hat da nun ein neuer Mann Einfluss gewonnen. Noch dazu einer, der sich was getraut und etwas geschafft hat. Das können jene in und außerhalb der Fraktion, die sich zu Höherem berufen sehen, eigentlich nicht brauchen. Aber die Karten werden neu gemischt.

Die Frage ist: wie schnell? Brinkhaus' Sieg könnte eine schwer zu steuernde Dynamik in Gang setzen. Angela Merkel wird mit ihm nicht einfach weiter regieren können, als sei nichts geschehen. Die Fraktion wollte mehr Unabhängigkeit, sie wird sie nun einfordern. Merkel hingegen wird prüfen müssen, ob sie der Fraktion oder dem Bundestag insgesamt die Vertrauensfrage stellt. Seit diesem Dienstag kann die Kanzlerin sich des Rückhalts der eigenen Leute nicht mehr sicher sein. Das ist zu wenig, um kraftvoll zu regieren, wie sie es sich nur einen Tag zuvor selbst noch einmal vorgenommen hat.

Natürlich würde man annehmen, dass die Fraktion sich hinter Merkel stellt, wenn sonst sogar Neuwahlen drohen. Andererseits: Die Schlappe für Kauder hatte erst auch niemand für möglich gehalten.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2018
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