Wenn es zutrifft, was die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zu berichten wusste, dann hat diese Woche für Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Unterrichtung in kommunistischem Fortschrittsglauben begonnen. Bei einer Videokonferenz mit Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron habe Präsident Xi Jinping auf die Unterstützung des chinesischen Volkes verwiesen, die seine Kommunistische Partei in den 100 Jahren ihres Bestehens errungen habe, meldete die Staatsagentur.
Merkel, der zu DDR-Zeiten als Physikstudentin in Marxismus-Leninismus lediglich ein "genügend" attestiert worden war, dürfte sich nach vielen Sitzungen mit Chinesen an derlei ideologische Vorbemerkungen gewöhnt haben - und höchstwahrscheinlich waren sie während der Videoschalte ihr kleinstes Problem.
Auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft geht es für Merkel darum, Xi zu beruhigen, ohne einen anderen allzu nervös zu machen: US-Präsident Joe Biden, den sie kommende Woche im Weißen Haus besucht. Weltpolitisch bilden China, Europa und die USA die derzeit wohl brisanteste Dreiecksbeziehung. Je mehr der Druck aus Washington steigt, desto wichtiger werden für China die Europäer. Das gilt aber auch umgekehrt. US-Präsident Biden braucht die Europäer, um den Druck auf China zu erhöhen.
Wie sehr Joe Biden im Umgang mit China auf der Suche nach Verbündeten ist, hat sich während seiner Europatour im Juni gezeigt. Sowohl beim Gipfel der G 7 in England als auch beim Nato-Gipfel in Brüssel warb er für eine Allianz der Demokratien gegenüber der autoritären Macht China. In beiden Fällen traf er dabei auf eine mäßig begeisterte Kanzlerin. Der Wunsch nach einem politisch brauchbaren und wirtschaftlich profitablen Verhältnis zu China war einer der markanten roten Fäden, die sich durch Merkels Kanzlerschaft gezogen haben.
Merkel handelt politisch mehrdeutig
Andererseits ist die Erwartung groß, nach dem Albtraum der Trump-Jahre wieder eine enge Partnerschaft mit den USA zu zelebrieren. Im Ergebnis hat sich Merkel für "geostrategische Mehrdeutigkeit" entschieden, wie es der Außenpolitik-Experte Ulrich Speck nennt.
Es gehe darum, Meinungsunterschiede durch "verstärkten Dialog" zu verringern, soll Merkel nach Darstellung von Xinhua bei der Videokonferenz mit Xi und Macron gesagt haben. Man habe sich "insbesondere zum Stand der Beziehungen zwischen der EU und China" ausgetauscht, hieß in einer dürren Stellungnahme des Kanzleramts.
Klar ist, dass es in diesen Beziehungen nicht so läuft, wie Merkel sich das während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 vorgestellt hatte. Aus dem von Merkel gewünschten großen EU-China-Gipfel in Leipzig wurde wegen der Pandemie nichts, die Kanzlerin setzte nach jahrelangen Verhandlungen aber immerhin die Einigung auf ein Investitionsabkommen durch. Das jedoch wird das EU-Parlament kaum ratifizieren, solange die Führung in Peking einzelne EU-Abgeordnete und weitere Europäer wegen ihrer Kritik am Bruch von Völker- und Menschenrecht mit Sanktionen belegt.
Man müsse mit Differenzen auf "korrekte Weise" umgehen und sicherstellen, dass beide Seiten vorankämen, zitierte Xinhua den chinesischen Präsidenten. "Xi glaubt immer noch, es reicht, wenn er mit Merkel und Macron telefoniert", sagt dazu Reinhard Bütikofer, EU-Abgeordneter der Grünen und auf der schwarzen Liste der Chinesen. Schon im April hatten Xi, Merkel und Macron zu dritt per Video konferiert.
China habe massiv an Terrain verloren, sagt der Grüne Bütikofer
Bütikofer empfindet dieses Dreierformat "als außerordentlich spalterisch". Wie solle man, fragt er, so die Mitglieder des von China einst als "17+1" gegründeten Klubs hauptsächlich kleinerer europäischer Staaten noch von Sonderwegen nach Peking abhalten? Xi habe zumindest verstanden, "dass China in Europa massiv an Terrain verliert", meint Bütikofer. Deshalb umwerbe er Merkel und Macron so sehr, was den Widerstand gegen das Investitionsabkommen aber nicht brechen werde.
Xi geht es allerdings nicht nur um das Investitionsabkommen. Die G 7 haben China als "Herausforderung" benannt und wollen der chinesischen Seidenstraße auf Betreiben der USA etwas entgegensetzen - etwa durch Investitionen in Afrika. Man möge doch in Afrika zusammenarbeiten, appellierte Xi an Merkel und Macron. Sie sehe die chinesische Bereitschaft zur Zusammenarbeit "erst einmal positiv", sagte Merkel danach. Es könne ja "nur gut sein, wenn wir dort über unsere jeweiligen Standards und unsere jeweiligen Herangehensweisen sprechen".
Das dürfte nicht ganz das sein, was Biden sich vorgestellt hatte, als er in Brüssel vor der "langfristigen systemischen Herausforderung durch China" warnte. Merkel habe in der China-Politik immer ein dickes Brett gebohrt, meint der Grüne Bütikofer. "Nun ist es aber kein Holzbrett mehr, sondern eine Stahlplatte. Da richtet man mit dem Holzbohrer nichts aus."