Vor der Notaufnahme kommt in Wuhan der Geldautomat. Das klingt reichlich nüchtern, und genau das ist es auch. Wer krank wird oder einen Unfall hat, wird in diesem Krankenhaus erstmal zur Kasse gebeten. Um einen Termin bei einem der Ärzte zu erhalten, muss er vor der Sprechstunde nicht nur seine Krankheitsdaten in den Automaten einspeisen, sondern gleich auch noch seine Kreditwürdigkeit beweisen. Genauer gesagt, er muss belegen, was sein Konto hergibt. Den Auszug, den er aus dem Automaten zieht, wird er dem Arzt vorlegen, auf dass dieser (oder diese) über die passende Behandlung entscheidet. Spritze, Operation und Pflege nach Kassenlage - so ist das im deutsch-chinesischen Freundschaftskrankenhaus von Wuhan.
Nun wäre es falsch zu glauben, alles hier sei kalt und abstoßend. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel am zweiten Tag ihres China-Besuchs die große Eingangshalle betritt, lächeln die Ärztinnen um die Wette, die Pfleger sind sehr freundlich und die Leitung des Hauses strahlt ob des hohen Besuchs aus Deutschland. Auch Merkel gibt sich begeistert. "Wahnsinn, was man hier alles zu sehen bekommt", sagt sie beim Vorbeigehen.
Das Tongji-Krankenhaus hat deutsche Wurzeln. Es geht auf den deutschen Arzt Erich Paulun zurück, der 1907 in Shanghai die erste deutsche Medizinschule für Chinesen gegründet hatte. Trotz fürchterlicher Bedingungen und zahlreicher Umzüge während des Zweiten Weltkriegs überlebte die Einrichtung, wurde aber in den fünfziger Jahren nach Wuhan verlegt. Und als sich China mit Deng Xiaoping der Welt wieder öffnete, wuchsen neue Kontakte nach Deutschland. Heute sagt die Kanzlerin, es sei doch schön zu sehen, wie hier lange Linien halten.
Vom Charme des vergangenen Jahrhunderts ist indes wenig geblieben. Das Gebäude ist groß und hell und freundlich und jedenfalls an diesem Tag nicht überfüllt, sondern locker bevölkert. Die Klinik wirkt nicht wie aus der Zeit gefallen; sie erinnert mit seiner mächtigen Spiegelglasfassade an ein riesiges Bankgebäude.
Enge Kooperationen bestehen unter anderem mit der Uni-Klinik in Duisburg-Essen und der Berliner Charité. Kontakte sind das, die die Klinik gerne weiter ausbauen würde. Und so lenkt der Vize-Partei-Sekretär der Klinik, zuständig für Propaganda, den Blick auf die Zahlen. 9000 Mitarbeiter habe die Klinik, 600 Betten stünden hier, überhaupt habe man im vergangenen Jahr 6,4 Millionen Patienten behandelt.
"Alles fällt hier krasser aus als in Deutschland"
Dazu erzählt die Ärztin Silja Zhang, die Ausstattung sei mindestens so gut wie in Deutschland, in manchen Bereichen sogar besser. Die gebürtige Münchnerin kam vor sieben Jahren nach Wuhan und schwärmt von den Bedingungen. Womit bei ihr nicht nur die Technik gemeint ist, sondern vor allem das, was sie als Chirurgin hier jeden Tag operieren kann. "Arbeitsverletzungen, Verkehrsunfälle, häusliche Gewalt - alles fällt hier krasser aus als in Deutschland", erzählt Zhang. Und fügt schnell hinzu, dass sie nur die Symptome behandeln könne, nicht die Ursachen für ihre Arbeitsschwerpunkte.
Nicht mal ganz eine Stunde ist Merkel hier. Und doch erfüllt der Besuch, was er leisten sollte: Die Kanzlerin kann mal wieder studieren, mit welcher atemberaubenden Geschwindigkeit sich in China das Leben verändert. Nicht überall in China, aber bei immer mehr Menschen. Und das längst nicht mehr nur bei denen, die sich mit der Digitalisierung beschäftigen. Diese ist längst im täglichen Leben angekommen. Am Ende des Tages sagt Merkel, es sei einfach spektakulär, wie sich dieses Land wandelt.