Süddeutsche Zeitung

Rückzug als CDU-Chefin:Merkels Wagnis

Die Kanzlerin übernimmt die Verantwortung für das schlechte Ergebnis der CDU in Hessen - und erklärt ihren schrittweisen Abschied von der Macht. Es ist ein bemerkenswerter Auftritt.

Von Hannah Beitzer, Berlin

In den vergangenen Monaten war häufig die Rede von der Kunst des stilvollen Rücktritts. Vor allem deshalb, weil nach landläufiger Meinung einige Protagonisten der deutschen Politik diese Kunst vermissen ließen, allen voran Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer. Nun hat dessen Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, in Berlin ihren Rückzug vom Amt der CDU-Parteivorsitzenden erklärt. Und so ist sie dem, was sich Seehofer-Kritiker unter einem stilvollen Rücktritt vorstellen, ziemlich nahe gekommen.

Ruhig tritt sie am Tag nach der für die Union verheerenden Hessen-Wahl vor die Hauptstadtpresse. Die Zahlen seien "enttäuschend, bitter", sagt sie. Um gleich klarzustellen: An der Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung unter Volker Bouffier, der im Konrad-Adenauer-Haus neben ihr steht, habe es nicht gelegen. Die habe nicht nur gute Sacharbeit geleistet, sondern auch einen guten Regierungsstil an den Tag gelegt - und das bei sehr unterschiedlichen Ansichten in einigen politischen Fragen.

"Das Bild, das die Bundesregierung abgibt, ist inakzeptabel"

Damit ist eigentlich schon klar, auf wen oder was Merkel hinaus will. "Das Bild, das die Bundesregierung abgibt, ist inakzeptabel", sagt sie. "Ich bin überzeugt: Wir müssen innehalten." Und: "Als Bundeskanzlerin trage ich die Verantwortung für Gelungenes und Misslungenes." Sie selbst habe ihre staatspolitischen und parteipolitischen Ämter immer in Würde abgeben wollen. Deutschland und den Menschen zu dienen, sei für sie eine herausfordernde und erfüllende Aufgabe. Aber: "Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren. Und das habe ich nie vergessen."

Dann verkündet sie ihren Rückzug, Schritt für Schritt: Sie werde auf dem kommenden Parteitag der CDU Anfang Dezember in Hamburg nicht mehr als Vorsitzende antreten. In dieser Legislaturperiode, die bis 2021 geht, stünde sie noch als Kanzlerin zur Verfügung, zur Halbzeit wolle sie gemeinsam mit den Koalitionspartnern Bilanz ziehen - aber ein weiteres Mal werde sie nicht antreten, auch nicht für den Bundestag kandidieren und auch sonst kein politisches Amt anstreben. Das gelte auch für mögliche Neuwahlen.

Es ist eine bemerkenswerte Rede Merkels, persönlich und nachdenklich. Und so hört man nach der Ankündigung der Kanzlerin im politischen Berlin aus verschiedenen Richtungen ein Wort, das zuletzt selten in Bezug auf die Bundesregierung fiel: Respekt. Parteifreunde Merkels wie Volker Bouffier äußern es, aber auch Politiker der Grünen und der SPD, allen voran SPD-Chefin Andrea Nahles. Es gibt aber auch einige, die den schrittweisen Rückzug anders bewerten als die Kanzlerin. In seltener Einigkeit fordern FDP, AfD und Linke Merkel auf, auch noch das Amt der Kanzlerin abzugeben.

Merkel will keinen Favoriten für die Nachfolge nennen

Merkel jedoch ist von ihrer Entscheidung überzeugt, noch jedenfalls. Auf die Nachfrage eines Journalisten erklärt sie, sich schon in der Sommerpause zu diesem Abschied auf Raten entschlossen zu haben. Sie habe das ursprünglich Anfang November verkünden wollen - und nun angesichts der schlechten Ergebnisse in Hessen vorgezogen. Zwar sei sie immer der Meinung gewesen, Kanzlerschaft und Parteivorsitz gehörten zusammen. Doch nun sei sie zu der Entscheidung gekommen, dass ihre Partei Erneuerung brauche. "Das ist ein Wagnis." Aber eines, das sie sich verpflichtet fühle, einzugehen.

Die neue CDU-Führungsmannschaft könne sich nach dem Parteitag mit einem neuen Programm auf die Zeit nach ihr einstellen. "Ich bin mir bewusst, dass dieses Vorgehen in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel ist." Aber sie sei davon überzeugt, dass der Schritt mehr Chancen als Risiken biete. Und wer soll das sein, die neue Führungsmannschaft? Merkel will dazu nichts sagen. Es sei in der Vergangenheit nie gut gegangen, wenn ein scheidender Politiker versucht habe, seinen Nachfolger selbst zu bestimmen. Die mächtigste Frau, ach, eigentlich der mächtigste Mensch Deutschlands, vermittelt den Eindruck, dass sie an der Macht nicht hängt.

Während Merkel spricht, lauschen in der ersten Etage des Konrad-Adenauer-Hauses zwei ihrer potenziellen Nachfolger auf dem Balkon den Worten der Kanzlerin: Generalsekretärin Annegret Kamp-Karrenbauer, die als Vertraute der Kanzlerin gilt, als eine, die ihren Kurs eher fortführen würde. Und Gesundheitsminister Jens Spahn, der sich vor allem als Merkel-Kritiker profiliert hat. Aus verschiedenen Ecken, versteht sich.

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