Süddeutsche Zeitung

Merkel-Nachfolge:Die CDU muss jetzt Vorbild sein

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Angela Merkel hat den Weg zum CDU-Vorsitz frei gemacht. Nun trägt die Partei eine große Verantwortung: Sie muss vorleben, wie ansteckend Demokratie sein kann.

Von Stefan Braun, Berlin

Eines muss man Angela Merkel lassen: Auch wenn der Verzicht auf den CDU-Vorsitz sie geschmerzt hat - als sie ihn am Montag verkündete, zeigte sie, wie groß ihre Leidenschaft für Demokratie tatsächlich ist. Nicht verdruckst und nicht verlogen betonte die Kanzlerin, dass es etwas sehr Gutes sei, wenn ihre Partei nun über Personen und Positionen ganz neu und frei entscheiden könne.

Dabei vermied sie nicht nur jeden Hinweis auf eine Präferenz. Sie betonte auch, dass sie mit sehr vielen Menschen sehr gut zusammenarbeiten könne, das habe sie in den vergangenen Jahren bewiesen. So schwer ihr das gefallen sein mochte - es war der Versuch, zu signalisieren, dass sie bereit ist, sich auch mit für sie komplizierten Siegern des Wettstreits zu arrangieren.

Ob das am Ende wirklich klappen kann, weiß niemand. Aber Merkels Botschaft war unmissverständlich: Jetzt ist das Rennen frei gegeben. Und ich, die Noch-Vorsitzende, werde jedes Ergebnis akzeptieren. Das ist nicht die schlechteste Botschaft für eine Kanzlerin, die zwar den Zeitpunkt selbst gewählt hat, aber den schrittweisen Abschied nicht leicht nimmt.

Und es war der Versuch, Demokratie vorzuleben. So wie Demokratie nun mal ist. dazu gehört auch: Man gewinnt, man verliert - und das wichtigste ist, dass alle das akzeptieren. In diesem so selbstverständlich klingenden Grundsatz steckt jene Regel, die die CDU in den kommenden Wochen besonders beherzigen sollte.

Die Zeit der Hinterzimmer ist vorbei

Ob sie wollen oder nicht - die Christdemokraten rutschen bis zum CDU-Parteitag vom 6. bis 8. Dezember in die Rolle des Vorbilds. Das ist Chance und Risiko. Eine große Chance ist es, weil die CDU ins Zentrum der öffentlichen Neugier rückt; es werden also ziemlich viele Menschen im In- und Ausland studieren, ob es ihr gelingt, einen offenen Wettstreit um Personen und Positionen als etwas Gutes, Spannendes und Faires vorzuleben.

Der wichtigste Grundsatz von allen ist dabei, dass wenig bis nichts hinter verschlossenen Türen stattfinden darf. Wo früher Mehrheiten auch mal für diesen oder jenen "organisiert" wurden, indem sich Landesverbände absprachen und ihre Delegierten auf Kandidaten festlegten, muss jetzt klar sein: In diesem Prozess, im Jahr 2018, sollte das Werben um die Ausrichtung der CDU und die Auswahl der Person an der Spitze so offen wie möglich ablaufen.

In Zeiten, in denen immer mehr Menschen an den Politkern und der Demokratie zweifeln und Gegner derselben Regierungen und Koalitionen als abgehobene Eliten verunglimpfen, wird es enorm wichtig, transparent, optimistisch und fair um die Macht zu kämpfen.

Als Angela Merkel noch Generalsekretärin war und ihr damaliger Parteichef im Zuge des Spendenskandals zurücktreten musste, war es eben dieser Wolfgang Schäuble, der die Idee entwickelte, seine potenziellen Nachfolger auf zahlreichen Regionalkonferenzen auftreten zu lassen. Das war im Jahr 2000. Zuvor hatte es derartiges kaum gegeben. Im bisher größten Krisenjahr der Partei aber wirkten diese Konferenzen wie ein Lebenselixier auf die deprimierten Mitglieder. Immer wieder und in allen Ecken der Republik mussten die Kontrahenten Volker Rühe und Angela Merkel antreten. Und selbst wenn es um Rühe herum Bemühungen gegeben haben sollte, für den abschließenden Parteitag Mehrheiten auszukungeln - es hätte ihm nichts mehr geholfen.

Merkel verkörperte den Neuanfang; und auf den hofften damals die allermeisten. Ob das dieses Mal wieder das stärkste Motiv sein wird, kann im Augenblick niemand sagen. Umso wichtiger ist es, diesen Prozess transparent und offen auszutragen.

Ob es darüber hinaus zu einem Mitgliederentscheid kommt, ist offen, aber momentan unwahrscheinlich. Der Grund ist vor allem ein pragmatischer: Wie auch immer man den Prozess organisieren würde - er würde deutlich länger dauernd als alles, was bisher geplant ist. Und das hieße: Die Konzentration auf die Frage, wer künftig der CDU vorsitzt, würde die Bundesregierung trotz wichtigster Aufgaben noch länger bremsen bis lähmen.

Aus diesem Grund neigen die meisten in der CDU-Führung bislang dazu, es bei der zentralen Abstimmung auf dem Parteitag zu belassen. Endgültig wird darüber der CDU-Bundesvorstand entscheiden; er kommt am Sonntag und Montag in Berlin zusammen.

Die meisten Parteitagsdelegierten sind bereits gewählt

Der wahrscheinliche Verzicht auf ein Mitgliedervotum bedeutet freilich, dass den 1001 Delegierten eine umso größere Rolle zukommt. Die meisten von ihnen wurden in den Kreis-, Bezirks- und Landesverbänden schon gewählt. Und jeder einzelne dürfte seit Montag nochmal ganz anders elektrisiert sein.

Das alleine reicht aber nicht aus. Wichtig wird sein, dass diese Delegierten, die abschließend entscheiden werden, die Stimmung bei den eigenen Leuten intensiv aufsaugen können. Um das möglich zu machen, könnten Kreis-, Bezirks- und Landesverbände zu Diskussionen mit den Delegierten einladen, so wie es der baden-württembergische Landeschef Thomas Strobl für seinen Landesverband plant.

Will die CDU vorleben, dass Demokratie spannend ist, leidenschaftlich sein kann und gleichwohl friedlich und fair bleibt, dann hat sie dafür jetzt die Chance in die Hand bekommen. Gelingt es ihr, dann kann sie gerade in Zeiten, in denen AfD, Pegida und andere rechtsradikale Gruppen diese Gesellschaftsform aggressiv herausfordern, einen enorm wichtigen Kontrapunkt setzen.

Gelingt es ihr nicht, sollte die CDU sich also in Streit, Flügelkämpfen und Vergiftungen verstricken, dann würden sich die Gegner der Demokratie bestätigt fühlen.

Es steht viel auf dem Spiel in den kommenden Wochen. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wer künftig der CDU vorsitzt.

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