Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:"Das vergesse ich keinen einzigen Tag"

Kanzlerin Merkel spricht im Bundestag über den hohen Preis der Pandemie-Bekämpfung. Sie verteidigt aber die Verlängerung des Lockdowns wegen der aggressiven Virus-Varianten - und stellt sich hinter zwei ihrer Minister.

Von Julia Bergmann und Philipp Saul

Bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit deutlichen Worten vor den Gefahren von neuen Virus-Mutanten gewarnt. Diese könnten bisherige Erfolge in der Pandemie-Bekämpfung wieder kaputt machen.

Man habe es im Wesentlichen mit drei Mutanten zu tun. Die in Großbritannien, Südafrika und Brasilien entdeckten Varianten seien wesentlich aggressiver als die bisher in Deutschland verbreitete Virusform. Besonders die in Großbritannien entdeckte Mutation sei in Deutschland schon verbreitet.

Der Anteil der mutierten Virusformen lag Untersuchungen zufolge im Januar bei 5,7 Prozent. "Aber Experten erklären uns, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis diese Mutanten die Oberhand gewinnen und das Ursprungsvirus verdrängen", erklärte Merkel. "Wir müssen sehr, sehr achtsam sein, nicht wieder ins exponentielle Wachstum zu kommen", mahnte sie.

"Das vergesse ich keinen einzigen Tag"

Merkel warf auch einen Blick zurück auf die vergangenen Monate seit Beginn der Pandemie. Was gemeinsam gegen die Ausbreitung des Virus geleistet worden sei, habe einen hohen Preis gekostet. "Eine in der Bundesrepublik so nie erlebte zeitweilige gravierende Einschränkung der Freiheit, schwere persönliche Belastung, Einsamkeit, wirtschaftliche Sorgen, Existenzängste. Das vergesse ich keinen einzigen Tag."

Alle Maßnahmen seien "gemäß den Regeln der Demokratie" beschlossen worden, sagte Merkel und verteidigte sich gegen Kritiker, etwa von der AfD, die ihr Rechtsbruch vorwerfen. Die Maßnahmen dürften aber keinen Tag länger andauern als nötig.

Nach den hohen Infektionszahlen Ende des Jahres und im Januar sei Deutschland mit den Lockdown-Maßnahmen auf einem guten Weg, sagte Merkel: "Die notwendige Trendumkehr ist gelungen." Die Zahl der Neuinfektionen und der Intensivpatienten sei gesunken. "Eine Überlastung unseres Gesundheitssystems, die konnten wir vermeiden. Gott sei Dank."

Wegen der Gefahr durch die Mutanten verteidigte Merkel den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz, den Lockdown bis zum 7. März zu verlängern. Sie glaube nicht, dass ein Hin und Her zwischen Öffnungen und Schließungen für die Menschen mehr bringe, als ein paar Tage länger zu warten. Das Virus richte sich nicht nach einem Datum, "sondern das Virus richtet sich nach Infektionszahlen und nach Fragen, wie sich die Infektion ausbreitet".

Merkel konnte sich bei den Schulen nicht durchsetzen

Die nächsten Öffnungsschritte sollen durch die Länder erfolgen, wenn es eine "stabile Inzidenz" von unter 35 gebe. Stabil heiße, dass die Inzidenz "mindestens drei Tage" diesen Wert habe, hatte Merkel nach der Ministerpräsidentenkonferenz gesagt.

Im Bundestag berichtete die Kanzlerin, sie hätte sich gewünscht, die Grundschulen später zu öffnen. Damit habe sie sich aber nicht bei den Länderchefs durchsetzen können. Sie akzeptiere jedoch, dass die Bundesländer für Bildungspolitik zuständig seien. Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten hatten sich nicht auf eine bundesweit einheitliche Regelung zur Öffnung der Schulen geeinigt.

Stattdessen wollen die Länder selbst entscheiden, wann sie entsprechende Schritte gehen. Dies führt wohl dazu, dass die Schulen in Deutschland zu verschiedenen Zeitpunkten, meist im Februar, teilweise wieder geöffnet werden sollen.

Unterstützung für Altmaier und Scholz

Die Bundeskanzlerin stärkte in ihrer Rede zudem Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) den Rücken und verteidigte sie gegen Kritik an der schleppenden Umsetzung der Überbrückungshilfen III. Es sei versprochen worden, dass die Anträge im Februar gestellt werden könnten. Dies sei nun der Fall "Das, was versprochen wurde, ist eingehalten." Im März sollten die Hilfen ausgezahlt werden.

Harte Kritik kam erwartungsgemäß aus dem Lager der AfD. Fraktionschefin Alice Weidel warf der Bundesregierung vor, sie stürze die Bürger nicht nur privat in Depression und Einsamkeit, auch auf dem Arbeitsmarkt hinterlasse der Lockdown eine "Spur der Verwüstung".

Auch Christian Lindner (FDP) missfiel das Vorgehen der Regierung. Unter anderem warf er ihr schlechte Kommunikation vor. Dass Merkel Forderungen dreier Fraktionen nicht nachgekommen war, vorab über ihre Pläne und Grundlinien zu informieren, nannte Lindner eine verpasste Chance. "Das hätte die Möglichkeit geboten, dass Sie Ihre Maßnahmenpakte vorstellen, es hätte die Möglichkeit gegeben, wissenschaftliche Grundlagen zu hinterfragen und Alternativen zu entwickeln."

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich verteidigte die beschlossenen Maßnahmen weitgehend. Doch auch die Fragen nach dem Zeitpunkt von Lockerungen seien unerlässlich. "Angesichts der sozialen Bedeutung müssten von Lockerungen zuerst Kinder und Jugendliche profitieren", betonte er.

Bezugnehmend auf die AfD-Kritik an der juristischen Legitimität der Corona-Maßnahmen erinnerte Mützenich an Mitglieder der Oppositionspartei, die die Pandemie kleingeredet und die Zahl der Corona-Toten mit der der Verkehrstoten verglichen hätten. Im Rückblick werde deutlich, wie verantwortungslos das gewesen sei. "Sie haben sich schuldig gemacht, und wenn jemand in diesem Haus gegen die Verfassung verstößt, sind Sie es", so Mützenich.

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