Süddeutsche Zeitung

Ein Jahr große Koalition:In dieser Regierung steckt mehr Ende als Anfang

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Lange hat es keine Koalition gegeben, die zu den Menschen so nett sein wollte wie die amtierende; das Geld fließt wieder. Atmosphärisch aber macht die Regierung daraus: gar nichts. Das liegt vor allem an ihrer Chefin.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Ohne Angela Merkel gäbe es die Koalition nicht, die jetzt ihren ersten Geburtstag feiert. Was immer die Motive der Kanzlerin vor einem Jahr waren - Machtversessenheit, wie ihre Kritiker sagen mögen, Respekt vor dem Wahlergebnis und der Verfassung, wie sie selbst behaupten würde - Merkels zähes Ringen um ein Bündnis mit der SPD hat die Regierungsbildung im Frühjahr erst möglich gemacht. Das hat dem Land ganz sicher weniger geschadet als schnelle Neuwahlen und bleibt Merkels Verdienst. Deshalb ist es schon paradox, dass die Koalition ausgerechnet mit ihr eigentlich nicht mehr allzu lange weitermachen kann.

Ein Jahr große Koalition: Es hat in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland wohl keine Regierung gegeben, die zu den Menschen so nett sein wollte wie diese. Nach Jahren der Reformen und der Einsparungen fließt das Geld wieder: von der Stabilisierung der Renten und der Beiträge über mehr Bau-, Familien- und Bildungsförderung bis hin zur ersten Hilfe für die Pflege und einem Kohlekompromiss, der Ausgaben bis in eine Zeit vorsieht, in der die Kanzlerkandidaten Philipp Amthor und Kevin Kühnert heißen könnten, was ein gütiges Schicksal verhindern möge. Weiteres Geld soll demnächst noch dazukommen, für Soli-Abschaffung und Grundrente zum Beispiel.

Merkel und ihre vierte Koalition haben sich vorgenommen, das Wohlwollen der Bürger für die Volksparteien quasi zurückzukaufen. Für diesen Zweck hat die Regierung in ihrem ersten Jahr den meisten Aufwand betrieben, auch weil die Zeit drängt vor den Europa- und vier kitzligen Landtagswahlen. Ein wenig erinnert Schwarz-Rot an den Generaldirektor Heinrich Haffenloher aus der Fernsehserie "Kir Royal", der die Gunst eines Klatschreporters durch eine besondere Form der Zuwendung gewinnen will: "Ich sch... dich so was von zu mit meinem Geld", kündigt er an; wobei es zwischen Staat und Bürger natürlich heißen müsste: " ... mit deinem Geld".

Man stelle sich vor, Emmanuel Macron dürfte unter solchen finanziellen Bedingungen regieren. Oder Gerhard Schröder und Joschka Fischer hätten derart aus dem Vollen schöpfen können. Die Selbstbeweihräucherung würde in Paris und wäre unter Rot-Grün vermutlich maßlos geraten. Bekanntermaßen ist solche Stimmungsmache nicht Merkels Art. Aber die amtierende Koalition unter ihrer Führung macht aus der guten Lage atmosphärisch: gar nichts. Ist das wirklich besser?

Ein Jahr nach ihrer mühsamen Entstehung verströmt diese Koalition noch immer Verbissenheit und Ressentiment, mangelnde Inspiration und ein Übermaß an Missgunst. Sie regiert nicht schlechter als ihre Vorgänger, sie setzt einiges um, was sie sich vorgenommen hat. Und doch umgibt sie ständig das Fluidum der Vergänglichkeit. Sie kann, weil sie sich nicht selbst begeistert, auch andere nicht begeistern. In dieser Koalition steckt stets mehr Ende als Anfang.

Die Verantwortung dafür liegt nicht allein, aber entscheidend bei Merkel. Sie hat mit ihrem Rückzug von der CDU-Spitze eine Dynamik ausgelöst, die sie schon in der Partei kaum unter Kontrolle halten konnte. Die Frage nach dem "Wie lange noch?" begleitet sie wie eine lästige Fliege. Aber Merkel selbst hat die Möglichkeit eines vorzeitigen Abgangs auch als Kanzlerin aufgeworfen. Merkels selbst hat eine Nachfolgerin aufgebaut. Merkel selbst hat Annegret Kramp-Karrenbauer nun auf dem so wichtigen Feld der Europapolitik programmatisch den Vortritt gelassen. Merkel sagt, sie sei bereit, vier Jahre Kanzlerin zu bleiben. Aber sagt sie auch, wozu?

Die Mehrheit will, dass Merkel weitermacht

Nun gibt es noch Umstände und Umfragen. Die Umstände heißen Brexit, Trump, Putin und so weiter. Sie werden aber absehbar nicht besser, das war schon die vergangenen Jahre so, und Merkel konnte auch nichts daran ändern. Die Umfragen sagen, eine Mehrheit wolle Merkel bis 2021. Das ist Ausdruck einer gewissen Behaglichkeit im Gewohnten. Solche Umfragen manifestieren die Sorge vor dem Ungewissen, ein Gefühl, das selbst Gerhard Schröder 2005 beinahe noch einmal zum Wahlsieg getragen hätte.

Merkel und Kramp-Karrenbauer beschäftigt die Frage nach dem Wechsel angeblich nicht. Selbst wenn das so sein sollte, wofür wenig spricht, beschäftigt die Frage viele andere - und nicht nur Journalisten. Sie sorgt für dauernden Alarmzustand in den Koalitionsparteien, woran sich nach den nächsten Wahlen nichts ändern wird, eher im Gegenteil. Sie forciert in der SPD den Hang zur Zweigleisigkeit, der die Sozialdemokraten mit der Union regieren und sie zugleich beteuern lässt, was ohne die Union alles schöner wäre.

Die Frage "Wie lange noch?" überlagert somit auch die Arbeit der Koalition. Sie festigt Unsicherheit, wo es um Vertrauen gehen müsste. Die Frage nach Merkels Zukunft ist eine ständige Ablenkung von den Antworten, die ihre eigene Regierung zu geben versucht. Und so kratzt diese Frage auch an der Würde, die Merkel sich eigentlich für ihren Abschied wünscht. Das kann nicht in ihrem Sinne sein.

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Quelle:
SZ vom 14.03.2019
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