Merkel-Besuch bei Hollande:Ein zartes Schulterklopfen vor dem Gipfelanstieg

Von den Bussi-Ritualen wie einst mit Nicolas Sarkozy ist Angela Merkel mit dessen Nachfolger François Hollande weit entfernt - aber immerhin ist eine erste freundschaftliche Geste beim Kurzbesuch der Kanzlerin in Paris drin. Der EU-Gipfel wird eine Bewährungsprobe für die deutsch-französische Beziehungen.

Stefan Ulrich, Paris

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, das gilt auch für die deutsch-französische Beziehung. Premier Jean-Marc Ayrault brachte am Dienstagabend sogar ein großes Präsent in die Residenz des deutschen Botschafters mit: sich selbst. Sein Kommen erregte Aufsehen im protokollverliebten Paris. Bei seiner Ansprache im Vierjahreszeiten-Salon des Hôtel de Beauharnais betonte Ayrault, es sei gewiss "ungewöhnlich, dass ein regierender Premier beim Abschied eines Botschafters das Wort ergreift". Er tue es trotzdem, aus Freundschaft zu Botschafter Reinhard Schäfers und aus Zuneigung zu Deutschland.

Angela Merkel in Paris

"Wir brauchen mehr Europa, wir brauchen ein funktionierendes Europa, und wir brauchen ein Europa, das sich gegenseitig hilft", sagte Merkel in Paris.

(Foto: dpa)

Ayrault sagte, er habe bei seinen Gesprächen mit Schäfers dessen Ernsthaftigkeit, Scharfsinn und Humor schätzen gelernt. Auch viele andere Franzosen waren von den Pariser Jahren Schäfers' beeindruckt, der jetzt nach Rom geht. Das zeigte sich an den Gästen, die an diesem schwülen Sommerabend in das meisterhaft restaurierte Palais im Empirestil am Seine-Ufer gekommen waren. Altpräsident Valéry Giscard d'Estaing, Außenminister Laurent Fabius, Innenminister Manuel Valls sowie viele andere Politiker und Wirtschaftsführer diskutierten bei Champagner, Lachs- und Linsenhäppchen vor allem über das eine: Wie steht es um die deutsch-französische Beziehung vor dem EU-Krisengipfel in Brüssel? Ayrault wollte mit seiner Präsenz die Antwort geben: besser, als viele befürchten.

Die Abwahl des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy und der Sieg des Sozialisten François Hollande hatten erst einmal wie ein Schock auf das Verhältnis gewirkt. Hollande und Angela Merkel (CDU) umkreisten sich vorsichtig wie zwei Igel. Auch die Regierungsmannschaften mussten einander noch kennenlernen. Der 62 Jahre alte frankophone und frankophile Botschafter besaß da einen Vorsprung.

Schäfers, der einst an der Elite-Hochschule Ena studiert hatte, pflegte als Botschafter in Paris Kontakte zu Politikern vieler Couleur - auch zu Sozialisten wie Hollande und Ayrault. Als diese an die Macht kamen, war er schon mit ihnen vertraut. So konnte er den Neustart der deutsch-französischen Beziehungen erleichtern. Dass dies funktionierte, zeigte der Auftritt Ayraults.

Natürlich gebe es Auseinandersetzungen zwischen beiden Staaten, wie es mit Europa weitergehen solle, räumte der gelernte Deutschlehrer Ayrault ein. In einer Zeit, da die Völker an der EU zweifelten, müsse die deutsch-französische Freundschaft aber als Garant des europäischen Zusammenhalts dienen. Das Hôtel de Beauharnais biete einen passenden Rahmen. "Man fühlt sich hier als Erbe derjenigen, die stets die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich als Fundament des europäischen Baus gepriesen haben."

Merkel und Hollande im Élysée-Palast

Tatsächlich ist die Residenz in der Rue de Lille unweit der Nationalversammlung von Historie durchtränkt. Einst amüsierten sich hier die schöne Joséphine - Napoleons größte Leidenschaft - und ihre beiden Kinder aus einer ersten Ehe mit Alexandre de Beauharnais. Zu später Stunde zeigen deutsche Diplomaten gern die kunstvolle "baignoire", in der die Kaiserin angeblich planschte. Es soll die erste Badewanne in ganz Paris gewesen sein.

1816 kaufte Preußen das Hôtel de Beauharnais und machte es zu seiner Botschaft. Der Schreibtisch des einstigen Botschafters Otto von Bismarck steht noch hier. Berühmte Gäste im Palais waren Karl Friedrich Schinkel, Richard Wagner und Bayerns König Ludwig II. Schon damals bereicherte der Palast den deutsch-französischen Austausch.

Seit 1871 war es deutsche Botschaft, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Stadtschloss konfisziert. 1961 gab es Frankreich als Zeichen der Versöhnung an Deutschland zurück. An diesem Ort sagte nun Botschafter Schäfers, sei die deutsch-französische Beziehung derzeit einem ständigen "Stresstest" ausgesetzt. Sie müsse ihn im Interesse Europas bestehen. "Wenn wir unsere grundlegende Entente aufgeben würden, hätte das verhängnisvolle Konsequenzen für alle."

Tags darauf legten die beiden wichtigsten Akteure der Freundschaft in einem anderen Pariser Stadtschloss nach: Hollande und Merkel trafen sich am Mittwochabend zu einem Arbeitsessen im Élysée-Palast, um den EU-Gipfel vorzubereiten. Vorher stellten sie sich im Ehrenhof des Élysée kurz der Presse. Der Präsident redete über Wachstum und lächelte, die Kanzlerin schaute grimmig drein. Dann sagte sie: "Wir brauchen mehr Europa, wir brauchen ein funktionierendes Europa, und wir brauchen ein Europa, das sich gegenseitig hilft." Hollande lächelte wieder. Denn wer könnte ihr da widersprechen.

Dann stiegen die beiden Seite an Seite die Freitreppe zum Élysée empor, wie weiland Merkel und Sarkozy. Ach ja, eines fiel noch auf. Die Kanzlerin klopfte dem Präsidenten freundschaftlich auf die Schulter. Das war noch weit entfernt von den Bussi-Ritualen mit Nicolas. Aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht.

Der Gipfel in Brüssel dürfte zeigen, wie es um die Beziehung steht. Die Atmosphäre scheint sich zu verbessern, doch die Meinungsunterschiede in der Euro-Krise bleiben groß. Jetzt müssen sie ausgeräumt werden. Ayrault zitierte zum Abschluss seiner Rede im Hôtel de Beauharnais in fast akzentfreiem Deutsch aus Goethes Faust: "Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat. Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!"

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