Süddeutsche Zeitung

Merkel beim Wahlkampfauftakt der Union:Anwedeln gegen das "böse Erwachen"

Jetzt ja nicht nachlassen - diese Botschaft verbreitet Merkel zum offiziellen Wahlkampfauftakt ihrer Partei und warnt vor zu viel Gelassenheit vor der Wahl. Die Bundeskanzlerin und CSU-Chef Seehofer betonen die Gemeinsamkeiten. Der Streit um die Pkw-Maut? Vergessen. Fast jedenfalls.

Von Benjamin Romberg

Teile des Publikums im ISS Dome zu Düsseldorf sehen schon etwas müde aus, als Angela Merkel die Halle betritt. Kein Wunder, hatten sie doch drei Stunden Vorprogramm über sich ergehen lassen müssen. Mit einer Beatles-Coverband, die das Original sogar im Frisurenvergleich beleidigte. Mit vorhersehbaren Talk-Runden. Und mit einem Moderatoren-Duo, das beim Eurovision Song Contest nicht schlechter aufgehoben gewesen wäre. Das alles und das stundenlange Wedeln mit Angie-Plakaten haben wohl Kraft gekostet.

Kraft, die die Partei in den kommenden Wochen bis zur Wahl noch brauchen wird - diese Botschaft wollen Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier zum offiziellen Wahlkampfauftakt der Union vermitteln. Offenbar herrscht doch etwas Angst, dass der träge Wahlkampf und Merkels Mutti-Attitüde nicht nur die Wähler, sondern auch die Partei einlullen könnten. Und so warnt Merkel in ihrer Rede vor einem "bösen Erwachen" am Wahltag. "Es gibt viele, die denken vielleicht, die Wahl ist schon gelaufen", sagt sie. Nicht nachlassen, das ist die eine Botschaft.

Die andere: Alles wird gut, gemeinsam machen wir das schon. Merkel und Seehofer überhäufen sich gegenseitig mit Bekundungen von Zuneigung und Respekt. Bayerns Ministerpräsident bezeichnet Merkel als "Glücksfall für Deutschland" und dankt ihr für die Unterstützung im Wahlkampf. Unterstützung? Moment mal, war da nicht was? In den Tagen zuvor hatten sich die beiden noch öffentlich um eine mögliche Pkw-Maut gezankt. Seehofer will unbedingt eine Maut nur für Ausländer - Merkel hat das im TV-Duell ausgeschlossen.

"Das eine kriegen wir hin"

Beide sparen das Thema in Düsseldorf demonstrativ aus. Nur einmal, am Anfang ihres Auftritts, wird deutlich, dass die Sache nicht vergessen ist. Fast schon unbeteiligt trottet Seehofer neben Merkel her, als sie gemeinsam in die Halle einmarschieren, auf der Bühne steht er ein bisschen schräg hinter ihr. Er will sich nicht aufdrängen. "Außerhalb von Bayern habe ich ja eh nichts zu sagen", grummelt der CSU-Chef in sich hinein. Als ihn das Mikro erreicht, betont Seehofer, dass die Schwesterparteien im Prinzip die gleichen Themen hätten. Und dann: "Das eine kriegen wir hin." Weitere Nachfragen unerwünscht.

In seiner Rede ist die Maut dann auch kein Thema mehr. Es ist ja alles gut. Deutschland geht es gut. Sehr gut sogar, "eine Insel der Stabilität" sei die Bundesrepublik, so Seehofer. Zum Schluss prophezeit er noch einen "goldenen September" für die Union.

Dann können die 7000 Menschen in der Halle endlich Merkel lauschen. Hoch, die Plakate. Die folgenden Minuten widmet die Kanzlerin der üblichen Bestandsaufnahme: Deutschland geht es gut. Mehr Arbeitsplätze, mehr Steuereinnahmen, weniger Schulden. Dann folgt ein schneller Ritt durch die wichtigsten Themen vor der Wahl: Steuern, Familienpolitik, Renten, Energiewende.

Merkel verärgert über Syrien-Resolution

Auch Syrien ist Thema. "Kinder und Erwachsene wurden auf grausame Weise umgebracht", sagt Merkel und fordert ein "starkes Signal" als Reaktion auf den Giftgas-Einsatz. Sie verteidigt die späte Unterschrift Deutschlands unter die amerikanische Erklärung zu Syrien, die am Freitag auf dem G-20-Treffen in Sankt Petersburg zunächst von Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien unterzeichnet worden war. Deutschland hatte zunächst gezögert, weil Merkel ein Treffen der 28 EU-Außenminister am Samstag abwarten wollte.

"Ich finde es nicht in Ordnung, wenn fünf große Länder ohne die 23, die nicht dabei sein können, schon einmal eine gemeinsame Position verabschieden, wissend, dass 24 Stunden später diese 28 alle zusammensitzen", sagt sie nun. Am Samstag hatten die EU-Außenminister dann eine ähnliche Resolution verabschiedet, die allerdings fordert, dass vor weiteren Schritten erst der Bericht der UN-Chemiewaffen-Inspekteure abgewartet werden sollte.

Zum Schluss ihrer Rede schaltet Merkel dann trotz aller Warnungen vor zu viel Gelassenheit im Wahlkampf in den TV-Duell-Modus. "Sie kennen mich", mit diesen Schlussworten hatte sich die Kanzlerin an das Publikum vor den Bildschirmen gerichtet. Dieses Mal sagt sie: "Viele kennen mich. Sie wissen, wie ich es mache." Die Halle jubelt, das Publikum ist begeistert. Aber das wäre es vermutlich auch gewesen, wenn Merkel einfach nur "Hey Jude" gesungen hätte.

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