Merkel beim EU-Gipfel:Die Frau, die in die Kälte kam

Noch bevor der Gipfel anfängt, macht die Kanzlerin klar: Die europäischen Merkel-Festspiele der vergangenen beiden Jahre finden auch auf diesem Treffen ihre nahtlose Fortsetzung. Doch dann bekommt Merkel zu spüren, wie frostig die Stimmung ist.

Cerstin Gammelin und Cornelius Pollmer, Brüssel

In der Krise sind die Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs längst zur Routine geworden, aber dieses erste Treffen im Jahre 2012 hielt für Angela Merkel einige Überraschungen bereit. Es begann bereits anders als sonst: Die Bundeskanzlerin musste wegen des Generalstreiks in Belgien auf dem Militärflughafen Beauchevin einfliegen, einem Provisorium 30 Kilometer südlich von Brüssel: Das Gelände war am Wochenende extra eingerichtet worden.

Und dann wurde es erst recht ungemütlich. Die Fahrt ins Ratsgebäude führte bei schlechter Sicht durch das erste Schneetreiben dieses Winters. Eine kalte und wie leer gefegt wirkende belgische Hauptstadt empfing die Kanzlerin, und gefroren wirkte auch das mechanische Lächeln Merkels, als sie aus dem Wagen stieg, schnell über den roten Teppich schritt und in ein paar kurzen Sätzen wesentliche deutsche Positionen kassierte: den Wachstumsfonds und die Entsendung eines Sparkommissars nach Griechenland.

Man müsse "bestehende Mittel besser verteilen", sagte die Kanzlerin - den von ihr und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy noch vor einigen Tagen in einem Strategiepapier vorgeschlagenen Extra-Fonds für Wachstum und Jobs wird es also nicht geben.

Und der Sparkommissar, der künftig der griechischen Regierung vorschreiben soll, wie sie Geld ausgeben darf? "Ich glaube, dass wir eine Diskussion führen, die wir nicht führen sollten."

Zwar stelle sich die Frage, wie Europa die Griechen unterstützen könne, um die Auflagen zu erfüllen. "Aber alles geht nur, indem Griechenland und die anderen Staaten das miteinander diskutieren."

Dann nickte Merkel noch kurz, schönen Tag die Damen und Herren, bevor sie aus dem kalten Wind ins Innere floh. Im Schatten ihres gewaltigen Gefolges huschte die dänische Ratspräsidentin Helle Thorning-Schmidt fast unbemerkt an den Journalisten vorbei.

Noch bevor der Gipfel angefangen hatte, war klar: Die europäischen Merkel-Festspiele der vergangenen beiden Jahre finden auch auf diesem Treffen ihre nahtlose Fortsetzung.

Einzig der britische Premier David Cameron versuchte noch, dagegenzuhalten. Er inszenierte seine Ankunft auf dem roten Teppich wie ein Boxer vor einer Schwergewichts-WM: Nur zehn Sekunden dauerte sein Auftritt, laut diktierte er in die Mikrofone, dass es notwendig sei, endlich zu deregulieren, "dafür trete ich ein", schon war er weg.

Bekommt Griechenland ein neues Hilfspaket?

Noch schneller verschwand Mario Monti. Kaum aus dem Wagen gestiegen, schwirrte die eine bange Frage auf ihn zu, die Bella Italia seit Wochen bewegt: "Werden wir es schaffen, aus der Krise zu kommen?" - "Sicher", sagte Monti, und ging.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ließ es erst gar nicht zu Fragen kommen. Der Mann, der sonst mit Pomp und Blaulicht vorfährt, auf dem roten Teppich große Pläne verkündet und immer eine stattliche Zahl von Pariser Reportern mitbringt, kam 20 Minuten später als geplant und rauschte stumm durch die Tür. Dieser Brüsseler Gipfel war nicht mehr als ein lästiger Pflichttermin; der Staatspräsident kämpft daheim darum, dass er im April wieder gewählt wird - und derzeit sind die Chancen dafür eher bescheiden. Sarkozy und Monti, die beiden, auf die sich Merkel sonst verlassen kann, sie fielen für diesen Gipfel aus.

Auch sonst ist keiner in Sicht, der die Kanzlerin unterstützt. Martin Schulz etwa, der deutsche Sozialdemokrat, der gerade zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt wurde, lässt sich die Gelegenheit, auf die seine Parteifreunde in Berlin schon so lange warten, nicht entgehen: Er lässt Merkel glatt abblitzen. "Man sollte Begriffe wie Sparkommissar vermeiden", sagt er, da habe es "schon sinnvollere Äußerungen gegeben". Und schiebt hinterher: "Es gibt Leute, die dazu beitragen, die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten noch zu verschärfen".

Jean-Claude Juncker sieht das wohl auch so. Der Präsident der Euro-Gruppe lässt seinem Ärger freien Lauf. "Inakzeptabel" sei diese Idee, einen Kommissar nur für Griechenland einzusetzen, sagt er. Was Juncker ärgert, dürfte nicht nur die Idee an sich sein, sondern auch, dass sie von Berlin so lanciert wurde, als wäre sie eine unter mehreren, über welche die Euro-Gruppe längst berate. Das sei nicht der Fall, erklärte sein Sprecher schon vor dem Gipfel.

Und ein Blick auf die Details des umstrittenen Strategiepapiers fördert dann auch zutage, dass diese Version wohl stimmig ist: Das Papier stammt aus Berlin. Der Verfasser, so geben die Datei-Informationen des Dokuments preis, ist ein Beamter aus dem Finanzministerium, er hat es unter seinem Namen gespeichert. In den Datei-Informationen ist ein genaues Datum nachzulesen: 27. Januar 2012. Und Nachfragen in den Ländern der Euro-Gruppe ergeben, dass die deutschen Ideen in der Runde der 17 Finanzminister bis dato unbekannt waren. Auf ihrem letzten Treffen am vergangenen Montag, es war der 23. Januar, wurde jedenfalls nicht darüber beraten.

Frostige Stimmung

Der deutsche Vorstoß ruft dann auf dem Gipfel in Brüssel genau das Gegenteil dessen hervor, was die Bundesregierung eigentlich vorhatte: Nicht über Griechenland und die Krise dort zu reden. Er bewirkt auch, dass der Kanzlerin nicht nur auf der Straße kalter Winterwind entgegenbläst, sondern es auch drinnen im Tagungsgebäude frostig zugeht. Merkel muss besänftigen und beschwichtigen.

Auch den griechischen Politikern ist die Anspannung anzumerken. Der amtierende Premier Lucas Papadimos schreitet am Nachmittag schweigend an den Journalisten vorbei. Sein Vorgänger Giorgos Papandreou hingegen tritt zwar erstmals seit seinem Rückzug vor die Kameras, aber viel sagt er nicht. Griechenland dürfe jetzt keine "Zwangsjacke" übergezogen werden, warnte er nur, sichtlich erschöpft und gealtert.

Für beide Politiker ist der Gipfel der Auftakt zu einer neuen langen Woche, in der hart über die Zukunft des Landes verhandelt wird. Am nächsten Wochenende soll klar sein, wie viele Milliarden Euro Schulden die privaten Banken dem Land erlassen, ob Athen doch einen Sparkommissar akzeptieren muss, um weiter Hilfe zu bekommen - und wie groß das zweite Hilfspaket werden wird. Am Montagabend auf dem Gipfel mag niemand eine Vorschau wagen.

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