Merkel bei Trump:Die Vorwürfe aus Washington haben einen wahren Kern

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Also Augen zu und durch, die Kritik abperlen lassen? So einfach ist es nicht. Denn so irrational manche Vorwürfe sind, die dieser Tage aus Washington kommen - sie haben einen harten, wahren Kern.

Ach, 2014. Damals versprachen der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin in München unisono, Deutschland werde künftig, seiner gewachsenen Macht entsprechend, in der Welt mehr Verantwortung übernehmen. Heute wirkt deutsche Außenpolitik überfordert von den Spannungen im eigenen Land, in Europa, und um Europa herum. Berliner Versuche, die eigene Rat- und Ideenlosigkeit zu bemänteln, wirken selbst auf unsere Freunde, die es auch in Washington noch gibt, verlegen bis verlogen.

Vollends unverständlich wirkt das angesichts eines Haushaltsüberschusses von sagenhaften 36,6 Milliarden: Spielraum für längst überfällige Investitionen in Brücken, Straßen, Kreiskrankenhäuser und Glasfaserkabel. Das hülfe nicht nur, den Außenhandelsüberhang abzubauen; es könnte auch der AfD bei Protestwählern in strukturschwachen Regionen das Wasser abgraben. Für die Sanierung der Bundeswehr bliebe dann immer noch viel übrig.

Merkel bei Trump: Constanze Stelzenmüller, 55, ist Robert Bosch Senior Fellow an der Brookings Institution in Washington, D. C.

Constanze Stelzenmüller, 55, ist Robert Bosch Senior Fellow an der Brookings Institution in Washington, D. C.

(Foto: Marc Darchinger)

Vor allem: Wann macht Deutschland eine Außenpolitik, die nicht bloß auf Ereignisse und Forderungen reagiert? Die anerkennt, dass trotz oder vielleicht gerade wegen des Siegeszuges der Globalisierung weltweit das Konfliktrisiko gestiegen ist - selbst unter Verbündeten? Die begreift, dass das offene Europa auch Feinde hat?

Tribalismus und Abschottung gegen alles Fremde haben überall Konjunktur. Europa lebt wie keine andere Weltgegend von der globalen Beweglichkeit von Menschen, Gütern und Daten. Wenn Amerika sich zurückzieht, haben wir Deutschen erst recht ein existenzielles Interesse, diese Grundlage unseres Wohlstands und unserer Sicherheit zu schützen. Wir müssen folglich auch in Europa investieren, und darüber hinaus. Es könnte unsere Beziehung zu Amerika, die unverzichtbar bleibt, neu begründen: endlich auf Augenhöhe.

Ja, das alles steht nicht im Koalitionsvertrag, mein politisches Kapital ist dieser Tage überschaubar, mir bleibt nicht mehr viel Zeit, mein Land befindet sich in einer großen Umbruchphase, und man könnte manchmal sogar meinen, meine Minister sind nicht stets einer Meinung mit mir: So könnte die Kanzlerin an diesem Freitag in Washington ihre Rede beginnen, in ihrem spöttischen uckermärkischen Glockenton. Aber dann könnte sie fortfahren: So wie Emmanuels Vorgänger, der General de Gaulle, einmal schrieb, er habe "une certaine idée de la France", habe auch ich ein Idealbild von meinem Deutschland: offen, verantwortungsbewusst, ein guter Nachbar, und der Welt zugewandt. Und unsere Versprechen halten wir. Das ist jetzt das Ziel, und mein Vermächtnis.

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