Die Präsidentschaft von Donald Trump ist der größte bisher dagewesene Stresstest für die amerikanische Demokratie und für die liberale Weltordnung. Sie erweist sich aber auch gerade als eine harte Reifeprüfung für Europa. Es ist allerdings nicht so ganz klar, ob diese Einsicht dort und insbesondere in Berlin angekommen ist. Um einen Diplomaten in Washington zu zitieren: "Manchmal fragen wir uns schon: Haben die zu Hause den Schuss gehört?"
Diese Woche nun wird Europas Antwort auf das Problem Trump weltöffentlich zu besichtigen sein, und zwar im direkten Vergleich: mit dem mehrtägigen Staatsbesuch des französischen Präsidenten in Washington, am Freitag gefolgt von einer knapp vierundzwanzigstündigen Arbeitsvisite der deutschen Kanzlerin.
Es ist auch höchste Zeit. Für Europa steht Großes auf dem Spiel. In den USA haben die Handelsprotektionisten und die Iran-Falken die Oberhand. Anfang Mai könnten US-Strafzölle gegen die EU in Kraft treten, knapp zwei Wochen später droht die Kündigung des Iran-Abkommens. Für beide Besucher ist die Reise auch aus einem anderen Grund heikel: Zu viel Kotau vor Trump ruft Kritiker und Gegner zu Hause auf den Plan. Damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Reisenden aber auch schon auf.
Emmanuel Macron hat es von allen europäischen Staats- und Regierungschefs bisher am besten verstanden, auf das Phänomen Trump zu reagieren. Paris hat sich an den Vergeltungsschlägen gegen den syrischen Machthaber Assad beteiligt. Frankreich investiert 1,7 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigungsausgaben und will bis 2024 auf zwei Prozent kommen; so, wie es die europäischen Staaten in der Nato 2014 versprochen haben.
Der Amerikaner und der Franzose sehen sich (und einander) als Männer der Tat, deren Erfolg nicht zuletzt in ihrem entschlossenen Hinwegfegen alter Regeln und Strukturen besteht. Trotzdem schafft es Macron, sich auch immer wieder klar zu distanzieren: ob beim Thema Iran ("Die USA haben keinen Plan B") oder dem Klimapakt ("Wir haben keinen Planeten B"). Die französische Diplomatie in Washington trägt ein leicht süffisantes Lächeln.
Das deutsch-amerikanische Verhältnis dagegen ist an einem in der Nachkriegszeit beispiellosen historischen Tiefpunkt angelangt. Berlin findet sich auf ganz spezielle Weise im Fadenkreuz der Regierung Trump wieder. Die Ethnonationalisten verübeln deutsche Großzügigkeit gegenüber Flüchtlingen; die Protektionisten hassen die deutschen Handelsbilanzüberschüsse; die Bellizisten ärgert, dass Berlin sich nicht an den Luftschlägen gegen Syrien beteiligt hat; und die Russlandskeptiker haben das Gasröhrengeschäft Nordstream 2 im Visier. Selbst das vergleichsweise europafreundliche Pentagon ist enttäuscht von einer maroden Bundeswehr und Berliner Verteidigungsausgaben, die nicht einmal die 1,2 Prozent des BIP erreichen.
Bei den jüngsten Personalwechseln in der US-Regierung hat Deutschland wichtige Ansprechpartner verloren, wie den Nationalen Sicherheitsberater H. R. McMaster. Sein Nachfolger John Bolton hat der Kanzlerin während der Flüchtlingskrise vorgeworfen, sie setze Deutschland und andere Staaten dem Risiko des Terrorismus aus. In seiner Autobiografie aus dem Jahr 2007 berichtet er genüsslich von seinen Fehden als UN-Botschafter mit deutschen Kollegen. Bis vor Kurzem war er Kuratoriumsvorsitzender des rechten Gatestone Institute, das jahrelang Falschmeldungen über Deutschland veröffentlichte. Der Präsident selbst und die Kanzlerin telefonieren zwar regelmäßig miteinander. Aber als Charaktere könnten sie einander fremder nicht sein. Für die Bundeskanzlerin, noch vor Monaten von US-Medien als Anführerin der freien Welt gefeiert, dürfte dieser zweite Besuch bei Trump trotz seiner Kürze ungemütlich werden.