Erneute Kanzlerkandidatur von Angela Merkel:Begreift Merkel die Innenpolitik nur noch als Niederung?

Merkel ist es gelungen, die CDU für den gesellschaftlichen Wandel zu öffnen. Dabei war sie manchmal zwar Getriebene - in der Regel aber treibende Kraft. Merkel konnte ihre Partei zurück ins Kanzleramt und 2013 sogar fast zur absoluten Mehrheit im Bundestag führen. Doch auf diesem Weg hat ihre innenpolitische Spannkraft nachgelassen. Immer häufiger scheinen die Debatten an ihr vorbeizulaufen.

Wo steht Merkel in der Renten-, der Steuer-, der Klima- oder der Sicherheitspolitik denn nun genau? Wie will sie der AfD die Wähler wieder abspenstig machen? All das können einem sogar CDU-Vorstandsmitglieder kaum noch sagen. Besonders deutlich wird diese Unklarheit in der Flüchtlingspolitik. Da hat Merkel einen Kurswechsel hinter sich, bestreitet ihn aber. Das Fiasko der Kanzlerin bei der Bundespräsidenten-Suche ist nur der neueste Beleg für die Schwäche, die Merkel in der Innenpolitik schon seit Längerem zeigt.

Im elften Jahr ihrer Kanzlerschaft scheint Merkel - wie manche ihrer Vorgänger - die Innenpolitik nur noch als Niederung zu begreifen. Das mag angesichts der Dimension der Krisen in der Welt verständlich sein. Ein Fehler ist es trotzdem. Ein Wahlkampf, in dem Merkel vor allem als Weltstaatsfrau punkten möchte, wäre für die CDU gefährlich.

Merkel muss mehr Inhalte wagen

Helmut Kohl - immerhin Kanzler der Einheit, Garant des Euro und späterer Ehrenbürger Europas - warb 1998 mit dem Slogan "Weltklasse für Deutschland" für sich. Das Ergebnis ist bekannt. Trotz seines internationalen Renommees, auch er war damals der erfahrenste Regierungschef Europas, musste Kohl aus dem Kanzleramt weichen. Am Ende interessieren sich Wähler mehr für Arbeitsplätze, Schulen, innere und soziale Sicherheit zu Hause als für den Friedensprozess in Afghanistan oder Syrien. Das mag angesichts der Verflechtungen in der Welt zu kurz gedacht sein, es ist aber so.

Wenn Merkel nicht nur dank der Dauer-Schwäche ihrer politischen Gegner für eine vierte Amtszeit gewählt werden will, wird sie nicht umhinkommen, den Deutschen zu sagen, was sie mit diesem Land vorhat. Ihr schlichtes "Sie kennen mich" reicht nicht mehr. Merkel braucht eine neue Begründung für eine weitere Kanzlerschaft - sie muss mehr Inhalte wagen. Im Leitantrag ihrer CDU, er ist der Nukleus für Merkels Wahlprogramm, ist davon allerdings noch nichts zu erkennen.

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