Merkel auf dem CDU-Parteitag in Leipzig:Kompass-Kanzlerin weist den Weg

"Wir haben keine Wahl": Angela Merkel eröffnet den Leipziger Bundesparteitag der CDU mit einer Weiter-so-Rede, bei der das "Basta" immer mitschwingt. Deutschland gehe es gut, betont die Bundeskanzlerin. Manchmal müsse man eben unpopuläre Entscheidungen treffen. Die Delegierten absolvieren einen Beifall-Konditionstest, aber Begeisterung will sich nicht einstellen.

Thorsten Denkler, Leipzig

Schon wieder dieses Wort: Kompass. Merkel benutzt es in ihrer Rede gefühlt in jedem zweiten Satz. Es geht um Werte: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, soziale Marktwirtschaft. Die machen den Kompass aus, den Merkel immer wieder beschreibt. Davon ausgehend will sie alles erklären: Den Ausstieg aus dem Wiedereinstieg in die Atomkraft, das Ende der Wehrpflicht, die neue Bildungspolitik mit dem möglichen Verzicht auf Hauptschulen, die Idee eines Mindestlohns. Natürlich auch die Euro-Rettung. Merkel lädt das Wort Kompass auf zur universellen Grundlage ihres Handelns.

Nur: Das reicht wohl nicht. Merkel begeistert nicht. Weder die Menschen draußen noch die Delegierten hier in der Leipziger Messe. Der Applaus am Ende ihrer gut einstündigen Rede hält lang an, länger als sechs Minuten. Es ist ein Beifall-Konditionstest, den die Delegierten in Leipzig absolvieren. Euphorisch oder frenetisch klingt anders.

Merkel spricht die Themen an, die die Welt bewegen. Sieben Milliarden Menschen, immer weniger Europäer, Schulden- und Bankenkrise. Dieses ganze Leben auf Kosten künftiger Generationen. Merkel erklärt diese Zeit für die eines "epochalen Wandels".

Nur ihre Rede ist weit davon entfernt, epochal zu sein. Am Ende lässt sie durchblicken, was sie denkt. Vor nicht allzu langer Zeit hat Merkel das Wort "alternativlos" geprägt. Jetzt sagt sie: "Wir haben keine Wahl." Das ist an die Delegierten gerichtet, an ihre Kritiker, die Zweifler, vielleicht die Bosbachs in der Partei, die aufbegehren gegen die Euro-Rettungspolitik der Kanzlerin, weil unüberschaubare Summen auf dem Spiel stehen. "Wir verzagen nicht. Wir jammern nicht. Wir nörgeln nicht", sagt Merkel.

Das Basta schwingt mit

Ein "Basta" bleibt unausgesprochen, aber es schwingt bei der Rede mit. Ich mache meinen Job. Macht ihr euren. So lässt sich die Kernaussage der Rede von Angela Merkel übersetzen.

Es scheint ihr zunehmend lästig sein, ihre Politik erklären zu müssen. Das war mal anders, in ihren Anfangsjahren als Kanzlerin. Und auch vorher schon. Damals hat sie begründet, sich den Mund fusselig geredet, wenn es darum ging, den Menschen komplexe Sachverhalte zu erklären.

Merkel fängt gut an, verweist auf Leipzig 2003. Den Parteitag, auf dem die CDU weitreichende Reformen für Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Sozialstaat beschlossen hatte. Steuererklärung auf dem Bierdeckel, das war damals der große Hit. Damals hat sie dafür noch gestritten. Ihr persönlicher Kompass war klar erkennbar.

"Jetzt haben wir es erreicht"

Das Ziel sei damals gewesen, dass Deutschland wieder ganz vorne dabei sein müsse, am besten unter den Top drei in Europa, sagt Merkel heute. Und setzt dann mit etwas Pathos in der Stimme nach: "Jetzt haben wir es erreicht." Sie meint die niedrige Arbeitslosigkeit, das hohe Wirtschaftswachstum.

24. Bundesparteitag der CDU

Angela Merkel auf dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig: "Wir haben keine Wahl."

(Foto: dapd)

Was sie nicht sagt: Kein einziger Beschluss von Leipzig 2003 ist heute in Politik umgesetzt worden. Merkel hatte sich von all den Beschlüssen nach und nach distanziert. Der Beitrag von Leipzig damals zu diesem Wachstum heute: gleich null. Die entscheidenden Reformen hat Rot-Grün mit der Agenda 2010 erledigt.

Aber Merkel will das auch gar nicht erklären. Die CDU sei in der Vergangenheit erfolgreich damit gewesen, sich gegen vermeintliche Mehrheiten in der Gesellschaft durchzusetzen. Sie habe "immer weder alte Antworten überprüft und neue gegeben mit dem Sinn für die Realitäten des Lebens". Nach dem Motto: Macht mit, dann seid ihr modern. Mach ihr nicht mit, seit ihr von gestern.

De Maizière und der Konservatismus

Später spricht Thomas de Maizière, der Verteidigungsminister. Er macht, was Merkels Job gewesen wäre. Er setzt sich mit dem Begriff des Konservatismus auseinander. Das ist wichtig. Die Partei hat innerhalb eines Jahres so viele identitätsstiftende Positionen über Bord geworfen, dass manche sich fragen, was denn eigentlich noch Identität der CDU ist.

De Maizière zitiert aus einem Lied, dass am Morgen im ökumenischen Gottesdienst gesungen wurde: "Vertraut den neuen Wegen und wandert in die neue Zeit." Es ist ein Appell an die Partei, sich von alten "Instrumenten" zu trennen, wie der Verteidigungsminister das nennt: etwa die Wehrpflicht oder die Atomkraft. Das seien keine Werte, betont de Maizière. Sondern Instrumente. Und die dürften durchaus mal ausgetauscht werden.

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