Merkel und Kramp-Karrenbauer bezeichnen ihr Verhältnis als gut. Und bisher hat man tatsächlich den Eindruck, dass die beiden Frauen vertrauensvoll miteinander umgehen. In der Debatte um die europapolitischen Vorschläge des französischen Präsidenten ging Kramp-Karrenbauer zwar deutlicher auf Distanz zu Emmanuel Macron als Merkel. In der Flüchtlingspolitik hat die CDU-Chefin sich mit der Bemerkung, Grenzschließungen seien als "Ultima Ratio" denkbar, sogar deutlich von der Kanzlerin abgesetzt. Aber mehr war in den ersten fünf Monaten Kramp-Karrenbauers an der CDU-Spitze nicht. Beim Empfang der Süddeutschen Zeitung am vergangenen Montag in Berlin saßen die beiden Frauen einträchtig und eng nebeneinander auf der Coach, bis sie - gemeinsam - das Fest verließen.
Doch wer glaubt, das spreche dafür, dass es zwischen Merkel und Kramp-Karrenbauer eine Art Masterplan für einen friedlichen Übergang im Kanzleramt gibt, liegt wohl falsch. Nahesteher der beiden Frauen bestreiten jedenfalls vehement, dass Merkel und Kramp-Karrenbauer Absprachen getroffen hätten. Das ist auch deshalb plausibel, weil es so viele unbekannte Variablen gibt, dass man so einen Übergang kaum planen kann. Wer weiß schon, ob und wann die SPD die Koalition verlassen wird? Wer kann wirklich einschätzen, ob in der CDU nach der Europawahl - oder nach den Wahlen in Ostdeutschland - eine Welle gegen die Kanzlerin losrollt? Außerdem kann niemand zuverlässig sagen, wie sich der Bundespräsident nach einem Rücktritt Merkels verhalten würde.
Die Kanzlerin ist wieder die beliebteste Politikerin
Und so warten die beiden Frauen im Moment ab, was passiert. Dabei ist die Kanzlerin in der wesentlich angenehmeren Lage. Sie ist nach ihrem Abgang von der CDU-Spitze wieder zur beliebtesten Politikerin der Republik aufgestiegen. Im aktuellen Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen wünschen sich 68 Prozent der Deutschen, dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 in ihrem Amt bleibt. Außerdem muss Merkel niemandem mehr etwas beweisen. Ihr muss es nur noch gelingen, eine passende Gelegenheit zum gesichtswahrenden Ausstieg zu finden, bevor sich etwas gegen sie zusammenbraut. Und wenn sich nichts zusammenbraut, dann bleibt sie halt bis 2021 Kanzlerin.
Kramp-Karrenbauer dagegen läuft die Zeit davon. Je länger sie es nicht ins Kanzleramt schafft, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere CDU-Politiker in eine aussichtsreiche Position kommen. Wenn die Union bei der Europawahl schlecht abschneidet, wird das Resultat nicht nur der Kanzlerin angekreidet werden, die ihre Partei im Wahlkampf praktisch alleine lässt, sondern auch Kramp-Karrenbauer. Und wenn die CDU bei den Landtagswahlen im Osten tatsächlich von der AfD eingeholt werden sollte, wird sich auch dafür die Vorsitzende rechtfertigen müssen.
Bei alledem hat es Kramp-Karrenbauer auch noch mit Erwartungen zu tun, die unvereinbar sind. Die Anhänger von Friedrich Merz oder gar der konservativen Werteunion wünschen sich eine grundlegend andere CDU als die Merkel-Freunde. Ministerpräsidenten wie Armin Laschet oder Daniel Günther haben ganz andere Vorstellungen von der Zukunft der Union als etwa die sächsische CDU-Landtagsfraktion. Laut Politbarometer ist das Lager der Bürger, die einen traditionell-konservativeren Kurs der CDU befürworten, praktisch genau so groß wie das Lager derer, die eine derartige Schärfung des Profils für schädlich hielten.
Kramp-Karrenbauer kann trotzdem nur abwarten. Über die notwendige politische Brutalität verfügt sie zwar, das weiß auch Merkel. Aber die CDU-Chefin kann ja schlecht in einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen die eigene Kanzlerin antreten. Das würde die Union zerreißen. Außerdem würde Kramp-Karrenbauer nicht einmal dann die nötigen Stimmen zusammenbekommen, wenn Merkel bei einem solchen Manöver mitspielen würde. Dass Sozialdemokraten - oder FDP und Grüne - sie ohne vorherige Neuwahl ins Kanzleramt hieven würden, danach sieht es nicht aus. Und so werden Merkel und Kramp-Karrenbauer noch eine Weile so weitermachen wie bisher: Die eine sonnt sich in ihren guten Umfragewerten und regiert. Und die andere friert im Wahlkampf.