Bundeswehr:Würdigung für gefährliche Tage

Bundeswehr: Ein Soldat erhält von Merkel eine Einsatzmedaille.

Ein Soldat erhält von Merkel eine Einsatzmedaille.

(Foto: Hauke-Christian Dittrich/AFP)

Bundeskanzlern Merkel ehrt in Seedorf Soldaten, die an dem Rettungseinsatz in Afghanistan beteiligt waren. Sie kennt den Ort, aus traurigerem Anlass.

Von Mike Szymanski, Seedorf

Auf dem Appellplatz in der Kaserne stehen die Soldaten jetzt stramm. Dann kommt der Befehl: "Zur Meldung an die Bundeskanzlerin: Die Augen - links!" Es ist Mittwoch, kurz nach 15 Uhr. Angela Merkel besucht das Fallschirmjägerregiment 31 in Seedorf in Niedersachsen.

Die Kanzlerin schreitet die Formation ab. Sie geht an Soldatinnen und Soldaten vorbei, die im August in elf Tagen mehr als 5300 Schutzsuchende aus Kabul herausgeholt haben, als die Taliban sich die Herrschaft nahmen. Es war die größte Evakuierungsoperation in der Geschichte der Bundeswehr, eine sehr gefährliche Mission. Heute ist der Tag, um den Soldaten den Dank auszudrücken. Merkel, deren Kanzlerschaft bald endet, wollte dabei sein.

Sie war schon einmal hier. Um genau zu sein, ganz in der Nähe, in einer kleinen Kirche in Selsingen. Die Ortschaft liegt nur wenige Kilometer entfernt. Es war das Jahr 2010, eines der blutigsten für die Bundeswehr in Afghanistan. Bei einem Gefecht an Karfreitag waren drei Soldaten der Fallschirmjäger aus Seedorf gefallen und mehrere teils schwer verwundet worden.

Merkel war damals in Selsingen, um sich vor den Särgen zu verneigen.

Afghanistan hat eine ganze Generation an Soldaten geprägt

Bei der Trauerfeier räumte die Kanzlerin ein, dass der Einsatz "schwieriger ist, als wir gedacht haben". Aber sie verteidigte damals die Mission. Und sie sagte, die Bundeswehr werde "keinen Tag länger als notwendig" in Afghanistan bleiben.

Das war vor mehr als elf Jahren.

Merkels Auftritt in Seedorf heute, im Jahr 2021, ist ein zurückhaltender. Nicht sie spricht. Die Rede hält Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Merkel zeichnet aber neun Soldatinnen und Soldaten, die bei der Rettungsoperation im Einsatz waren, stellvertretend mit der Einsatzmedaille aus. Sie redet mit den Soldaten, nicht zu ihnen. Merkel würdigt ihren Einsatz mit ihrer Anwesenheit.

Es hätte wohl niemand geahnt, dass der Einsatz auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft noch einmal eine solche Dramatik annehmen würde wie im August. Oberleutnant H., Feldjäger, stand in Kabul am Flughafen an den Gates. Er musste entscheiden, wer mitkommt und wer nicht. Er war alle elf Tage im Einsatz. Er erzählt, dass er noch immer den Gefechtslärm im Ohr hat. Er habe ständig das Gefühl gehabt, sich in Lebensgefahr zu befinden.

Dieses Mal sind alle Soldaten lebend zurückgekehrt. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sagt: "Gottlob gab es keine deutschen Gefallenen." Und sie sagt: "Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist jetzt Vergangenheit."

Der Afghanistan-Einsatz hat auch Angela Merkel verändert

Die Kanzlerin hatte den Einsatz 2005 von der rot-grünen Regierung übernommen. In den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft hatte er für sie keine Priorität. Das Militärische war Merkel fremd. Erst zwei Jahre nach ihrer Wahl flog sie nach Kabul. Die Lage in Afghanistan verschlechterte sich von Jahr zu Jahr. 2010, in der Kirche in Selsingen, nahm sie erstmals an einer Trauerfeier für gefallene Soldaten teil. Der Einsatz hatte auch Merkel verändert.

Der Bundeswehreinsatz zur Stabilisierung des Landes ist beendet, nach fast 20 Jahren am Hindukusch. Der Evakuierungseinsatz auch, nach elf Tagen. Aber in Afghanistan herrschen jetzt wieder die Taliban, so wie vor dem Engagement der Deutschen dort. Kramp-Karrenbauer sagt dennoch: "Der Einsatz in Afghanistan war richtig."

Der Tag in Seedorf beendet nur ein Kapitel des Afghanistan-Engagements. Es geht um die Leistung der Bundeswehr bei der Evakuierungsoperation. Aber Afghanistan hat eine ganze Generation an Soldaten geprägt. Später am Tag legen etwa 100 Rekruten ihr Gelöbnis ab.

Das Schlussfazit ist noch gar nicht gezogen, das will Ministerin Kramp-Karrenbauer bei einer Expertenrunde im Oktober erledigen. Dann soll es auch noch einen Großen Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude geben, das höchste militärische Zeremoniell. Dann erst findet dieser Einsatz seinen offiziellen Abschluss.

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