Menschenschmuggel:Wie Schlepper am Elend Millionen verdienen

Das Geschaeft mit den Fluechtlingen

Schlepper verdienen gut an den Flüchtlingen, die zu Hunderttausenden nach Europa kommen.

(Foto: epd)

Die höchsten Gewinnspannen neben Drogenschmuggel und Waffenhandel: Immer mehr Kriminelle beteiligen sich am Menschenschmuggel - auch in Deutschland.

Von Florian Hassel

Der Einsatz kam am frühen Morgen. Fast ein Jahr hatten Polizisten aus Dresden und Halle unter dem Codenamen "Operation Casablanca" gegen mutmaßliche Schlepper und Dokumentenfälscher in Sachsen und Bulgarien ermittelt, zusammen mit Ermittlern aus Bulgarien, den Niederlanden und von Europol. Ende Januar 2015 schlugen allein in Deutschland mehr als 200 Ermittler zu und hoben ein international agierendes Netzwerk aus. Dessen Zentrum: die kleine Gemeinde Wülknitz im sächsischen Landkreis Meißen. Dort und im nahen Riesa soll der türkischstämmige Autohändler Ramazan K. gefälschte polnische und bulgarische Pässe und Visa angeboten haben.

Das Geschäftsmodell: Pässe und Visa wurden in Bulgarien gefälscht und für 2000 (Pässe) oder 3500 Euro (Visum) an Migranten verkauft. Wer auch den Transport nach Deutschland wollte, dem boten die Schlepper einen Landweg aus der Türkei über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich und Deutschland an - oder sogar einen Direktflug aus der Türkei nach Deutschland. Zusatzkosten für den Transport: ab 7000 Euro aufwärts.

Bevor die Ermittler zuschlugen, registrierten sie mindestens 230 Schleusungen durch die Gruppe, die auch mit Drogenhandel, Prostitution und Falschgeld Geschäfte machte. Seit Mittwoch verhandelt das Landgericht Dresden gegen Ramazan K. und seine bulgarischen mutmaßlichen Mittäter Varban I. und Petar P., so der Dresdner Oberstaatsanwalt Lorenz Hasse. Ein weiterer Prozess gegen vier Angeklagte steht bevor, gegen 15 weitere Beschuldigte wird noch ermittelt.

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Die Operation Casablanca zeigt nicht nur, dass es aufwendig ist, eine professionelle Schleusergruppe zu zerschlagen. Menschenschmuggel ist ein Milliardengeschäft mit den höchsten Gewinnspannen neben Drogenschmuggel und Waffenhandel. Allein eine in Österreich verurteilte Schlepperbande verdiente am Flüchtlingstransport mehr als sieben Millionen Euro. Die Gewinne dürften in diesem Jahr noch höher sein - vor allem in der EU, wohin allein 2015 mehr als eine Million Menschen kommen dürften. Europol-Direktor Rob Wainwright schätzte Anfang September im irischen Radiosender Newstalk die Zahl professioneller Menschenschlepper in Europa auf etwa 30 000.

Die Festnahmen sind ein Tropfen auf den heißen Stein

Allein von April bis Juni - also noch vor dem starken Anstieg der Zahlen - wurden in der EU einem Anfang Oktober vorgelegten Europol-Bericht zufolge 3162 mutmaßliche Schlepper festgenommen, ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor. Diese Zahlen schließen noch nicht einmal Serbien ein, das zentrale Transitland auf dem Balkan: Dort wurden allein im zweiten Quartal 2015 über 260 Schlepper festgenommen; ein Tropfen auf den heißen Stein, handeln in Serbien oder dem benachbarten Bulgarien doch viele Schlepper im Einverständnis mit korrupten Grenzbeamten.

Menschenschmuggel wird meist nicht von großen Mafiagruppen organisiert, die Banden seien "meist klein und basieren auf familiären und ethnischen Verbindungen", stellt Europol in einem neuen Bericht fest. "Die meisten Gruppen bestünden aus nur "drei bis 15 Personen", arbeiteten aber oft lose mit anderen Gruppen in anderen Ländern zusammen. Vor dem Anschwellen der Migrantenwelle gingen viele Schlepper vergleichsweise professionell vor. Eine Gruppe Syrer, die die SZ im Sommer in Serbien begleitete, bezahlte für das letzte Wegstück von Ungarn nach Deutschland 600 Euro pro Person einem in Budapest lebenden Schlepper für den Transport per Pkw. "Wir vertrauen ihm, weil er schon zwei Vettern von uns in diesem Jahr nach Deutschland gebracht hat", sagte einer der Syrer.

Die hohen Gewinnspannen ziehen nun auch viele Kleinkriminelle an, die zuvor mit Menschenschmuggel nichts zu tun hatten. Die nach dem schockierenden Fund von 71 erstickten oder erfrorenen Flüchtlingen in einem Kühllaster bei Wien aufgeflogene Schlepperbande aus Bulgaren ist in mancherlei Hinsicht typisch. In dem Fall gibt es fünf bulgarische Verdächtige: Metodi G. kam aus einem Roma-Ghetto der bulgarischen Kleinstadt Lom und stieg offenbar erst vor Kurzem ins Geschäft mit Menschenschmuggel ein. Weitere Verdächtige kamen ebenfalls aus armen Regionen Bulgariens. Europol schätzt das Durchschnittseinkommen eines Schleppers auf 70 000 Euro im Jahr - ein Vermögen in Ländern wie Bulgarien oder Serbien mit einem Durchschnittseinkommen von rund 300 Euro monatlich.

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