Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International prangert mögliche Kriegsverbrechen in Libyen an. Nicht nur die Schergen des gestürzten Despoten Muammar al-Gaddafi, sondern auch die Rebellen haben nach dem jüngsten Amnesty-Bericht in Libyen Menschenrechtsverletzungen begangen.
Frühere Mitglieder von Gaddafis Sicherheitskräften, vermeintliche Verbündete, gefangengenommene Soldaten sowie Ausländer, die für Söldner gehalten wurden, seien "entführt, willkürlich gefangengehalten, gefoltert und getötet" worden, heißt es in dem mehr als 100 Seiten langen Bericht zur Lage in Libyen.
Die Organisation forderte die neue libysche Führung auf, Verbrechen ihrer Anhänger im Kampf gegen den langjährigen Machthaber Gaddafi zu stoppen. Der Nationale Übergangsrat stehe vor der schwierigen Aufgabe, seine Kämpfer zur Rechenschaft zu ziehen, die für "schwere Menschenrechtsverletzungen, mögliche Kriegsverbrechen eingeschlossen", verantwortlich seien, heißt es weiter. Amnesty warf Vertretern des Rats vor, die geschilderten Vergehen zwar zu verurteilen, gleichzeitig aber "ihr Ausmaß und ihre Schwere" herunterzuspielen.
Die Menschenrechtsorganisation erklärte, das Bild sei noch unvollständig, jedoch müsse die neue Führung jeden Missbrauchsvorwurf untersuchen sowie Fremdenhass und Rassismus bekämpfen. Insbesondere kritisierte Amnesty den Übergangsrat für sein Versäumnis, Gerüchte klarzustellen, wonach Gaddafi Schwarzafrikaner als Söldner angeheuert habe. Bei den Kämpfen war es zu zahlreichen rassistischen Übergriffen gekommen.
Der Bericht räumt aber gleichzeitig ein, dass die Taten nicht mit dem Ausmaß der Verbrechen unter Gaddafi zu vergleichen seien. Die meisten Menschenrechtsverletzungen wurden demnach von Kräften begangen, die loyal zum langjährigen Machthaber Muammar al-Gaddafi standen. Das schließe Angriffe auf Zivilisten, das Verschwinden von Gegnern, willkürliche Festnahmen und Folter ein - Gräueltaten, die Kriegsverbrechen gleichkommen könnten.
Rechtsstaat auf Basis der Scharia
Unterdessen hat der libysche Übergangsrat angekündigt, einen Rechtsstaat im Land aufzubauen. Das versprach der Vorsitzende des libyschen Übergangsrates, Mustafa Abd al-Dschalil, am Montag bei seiner ersten öffentlichen Rede vor Tausenden Anhängern in Tripolis. Ziel sei es, einen Rechtsstaat, einen Sozialstaat, einen Staat aufzubauen, in dem die islamische Rechtsprechung Scharia die wichtigste Quelle der Gesetzgebung sei.
"Wir werden keine extremistische Ideologie von rechts oder links zulassen", sagte al-Dschalil laut dem US-Nachrichtensender CNN. Er forderte Einigkeit und sprach sich gegen Hass und Neid aus. Außerdem dürften die Menschen das Gesetz nicht in die eigene Hand nehmen. "Wir sind ein muslimisches Volk, für einen moderaten Islam und wir werden auf diesem Weg bleiben", sagte al-Dschalil nach Angaben des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira weiter.