Saudi-Arabien:Frauenrechtlerin droht Prozess vor Sondertribunal

Saudi-Arabien: Die Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul

Menschenrechtler fordern ihre Freilassung: Die saudische Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul, die einst hoffnungsvoll über den Kronprinzen sprach.

(Foto: Marieke Wijntjes/REUTERS)

Loujain al-Hathloul setzte einst Hoffnung in die Reformen des Kronprinzen, nun wird die junge saudische Frauenrechtlerin behandelt wie eine Terroristin. Und alle internationalen Appelle, sie freizulassen, zeigen keine Wirkung.

Von Moritz Baumstieger, München

Der bisher letzte Tweet, den Loujain al-Hathloul in Freiheit absetzte, ist schlecht gealtert. "Wir haben nicht die beste Menschenrechtsbilanz der Welt", zitierte die damals 28-Jährige im März 2018 ihren Kronprinzen, "aber wir verbessern uns und haben in kurzer Zeit einen langen Weg zurückgelegt." Aussagen wie diese von Mohammed bin Salman seien beruhigend, kommentierte al-Hathloul, und spiegelten ein klares Interesse des Landes an internationalen Standards wieder. Lob für den Herrscher und seine Reformen also, abgerundet mit einer Anregung: Das Königreich könnte noch einen Quantensprung machen, wenn es die Fälle von politischen Gefangenen überprüfte, die gewaltlos für Wandel eintraten.

Zweieinhalb Jahre später ist Loujain al-Hathloul, die in der vergleichsweise liberalen Küstenstadt Dschiddah geboren wurde, selbst Gegenstand ähnlicher Appelle: Vor dem G-20-Gipfel, bei dem das Königreich am Wochenende wegen der Corona-Pandemie nur virtuell als Gastgeber auftrat, plädierten weltweit Menschenrechtler für ihre Freilassung.

Von Trump musste der Kronprinz keine Kritik fürchten

In Haft wurde Loujain al-Hathloul ihrer heute im Exil lebenden Schwester zufolge wiederholt vergewaltigt und gefoltert, zuletzt trat sie in den Hungerstreik. Von seinem mächtigsten Verbündeten Donald Trump musste der Kronprinz keine Kritik wegen Menschenrechtsverstößen fürchten, nun hofften viele, dass bin Salman vielleicht dem gewählten Präsident Joe Biden etwas Entgegenkommen signalisieren würde.

Doch zu einer Geste des guten Willens ließ sich Saudi-Arabien nicht hinreißen, im Gegenteil: Am Mittwoch wurde al-Hathloul vor ein Gericht gebracht, sichtlich geschwächt und unkontrolliert zitternd, wie Familienmitglieder berichteten. Der Richter, bei dem der Fall seit ihrer Festnahme im Frühjahr 2018 lag, erklärte sich für nicht zuständig - und überwies die Causa an ein Spezialtribunal für Terrorismusfälle und solche, die die nationale Sicherheit gefährden.

Die Bedrohung, die die Frauenrechtlerin nach Ansicht des Richters für das Königreich darstellt, wurde zum ersten Mal im Jahr 2014 sichtbar: Da nahm al-Hathloul ein Video von sich auf, in dem sie zwar ordnungsgemäß verschleiert war, sich aber hinter dem Steuer eines Autos platzierte. Sie ließ den Motor an und sprach in die Kamera, während sie aus den Vereinigten Arabischen Emiraten kommend auf die Grenze zu Saudi-Arabiens zufuhr, wo Frauen das Lenken eines Wagens immer noch verboten war. Al-Hathloul wurde festgenommen, verbrachte 73 Tage in Haft.

Auch nach ihrer Freilassung nervte sie den Hof in Saudi-Arabien durch ihren Willen, die konservative Gesellschaft des Landes aufzubrechen: Als Frauen im Jahr 2015 bei Wahlen auf kommunaler Ebene erstmals ihre Stimme abgeben durften, versuchte sie, als Kandidatin aufgestellt zu werden. Ein Jahr später beteiligte sie sich an einer Petition, mit der der König gebeten wurde, endlich das Vormundschaftssystem abzuschaffen, das saudischen Frauen eigenständige Entscheidungen und Reisen unmöglich macht.

Terrorismus im Sinne von gewaltsamen Aktionen werden die Richter al-Hathloul kaum vorwerfen können. Das Verbrechen, mit dem sie nationale Sicherheit untergraben soll, liegt wohl eher in ihrem öffentlichen Auftreten: Al-Hathloul ist mit einem prominenten Komiker verheiratet, in den für gesellschaftliche Debatten in Saudi-Arabien immens wichtigen sozialen Medien bestens vernetzt, seit ihrem Französisch-Studium in Kanada unterhielt sie zudem zahlreiche Kontakte ins Ausland.

Einen Monat, nachdem al-Hathloul 2018 zeitgleich mit vielen anderen saudischen Aktivistinnen verhaftet wurde, gestattete Kronprinz Mohammed bin Salman dann seinen weiblichen Untertanen das Autofahren, ließ diesen Schritt mit einer international angelegten PR-Kampagne feiern. Später schaffte der heute 35-Jährige das Vormundschaftssystem zwar nicht ab, lockerte es aber ein wenig. Al-Hathlouls Vergehen werden aus Sicht des Kronprinzen weniger in ihren inhaltlichen Forderungen bestehen, denn in der Tatsache, dass sie diese laut ausgesprochen hat: Ein absolutistisch regierender Monarch gewährt vielleicht Freiheiten, lässt aber keine von sich einfordern. Nicht einmal durch zurückhaltend formulierte Tweets.

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