Es war eine Veranstaltung nach dem Geschmack Gerhart Baums. Das Thema: Zwanzig Jahre Wiener Menschenrechtskonferenz. Der Ort: die Hauptstadt. Und der Gastgeber: die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung. Ohne zu übertreiben, kann man behaupten, dass sich in dem Termin vieles vom Leben des früheren Bundesinnenministers bündelt: die Politik, die Partei und sein Eintreten für die Menschenrechte.
Entsprechend gerne ist der 80-Jährige am Dienstag der Vorwoche auf der Veranstaltung aufgetreten. Das berichten all jene, die dabei waren. Mit kaum etwas kann man den leidenschaftlichen und redegewandten FDP-Kämpen mehr begeistern als mit diesem Thema. Ein Thema, bei dem ihn nichts wirklich aufhalten könnte.
Nun ja - fast nichts. Denn ausgerechnet im Verlauf jenes Abends musste Baum etwas erleben, was er sich gern erspart hätte. Er hatte den Abend mitinitiiert und am Rande auch 15 Stipendiaten der Naumann-Stiftung getroffen. Stipendiaten, die "ziemlich menschenrechtsbewegt" sind, wie ein Mitarbeiter der Stiftung berichtet. Doch am Ende der knapp zweistündigen Diskussion stand nicht mehr nur der Einsatz der FDP für die Menschenrechte im Zentrum.
"Fürchterliche Lobesreden"
Diskutiert wurde nicht zu knapp auch über Hans-Dietrich Genscher. Genauer gesagt: über Genschers Werben um mehr Verständnis für Aserbaidschan, das laut Menschenrechtsexperten nicht als Hort der Menschenrechte bekannt ist.
Auslöser für die Debatte war Wenzel Michalski, der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch. Nach einführenden Worten Baums, in denen der Alt-Liberale auch die Lage in Russland und darob ein wenig die SPD kritisiert hatte, nutzte Michalski seinen Platz auf dem Podium, um Genscher öffentlich die Leviten zu lesen. Von "fürchterlichen Lobesreden" für problematische Regimes sprach Michalski.
Nun gehören verbale Attacken zu Michalskis Job-Beschreibung. Und die Kritik an Genschers sanften Worten über Aserbaidschan ist nicht neu, auch die SZ hatte am 10. Mai darüber berichtet. Aber neu war für Baum, dass er die Kritik nahezu sprachlos über sich ergehen lassen musste. Sprachlos, weil ihm keine richtige Verteidigung einfallen wollte. Nicht viel anders, so erzählen es Augenzeugen des Abends, erging es Marina Schuster. Auch die FDP-Bundestagsabgeordnete, zuständig für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, soll auf dem Podium ziemlich unglücklich dreingeschaut haben.
Baum äußert sich nicht öffentlich, aber wer ihn in den Tagen seither erlebt hat, kann spüren, wie ihn der derzeitige Blick auf Genscher beunruhigt. Offenbar weiß auch er nicht recht, was er, der sich zu Genschers Freunden zählt, Genschers Kritikern entgegnen könnte. Das ist nicht schön für einen, der auch im Auftrag Genschers einst in schwierige Länder reiste, um dort Bedrohten Unterstützung zu versichern. Angesichts dessen kann es nicht verwundern, dass sich bei Leuten wie Baum allmählich die Sorge breitmacht, die Kritik an Genscher könnte sich zu einer Kritik an der FDP auswachsen.
Hintergrund von all dem war zuletzt ein Auftritt Genschers im Berliner Hotel Adlon, bei dem er den früheren Herrscher Aserbaidschans, Geidar Alijew, mit schönen Worten lobte, ohne die Menschenrechtsprobleme mit einem Wort zu erwähnen. In einem Text zum 90. Geburtstag des vor zehn Jahren verstorbenen Geidar Alijew schreibt Genscher trotz der Probleme von einer großen Entschlossenheit des Landes, "den Weg zu Demokratie und Offenheit zu gehen".
Für Menschenrechtler sind solche Auftritte schwierig. Das gilt auch für den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Markus Löning. Dabei gibt sich der FDP-Politiker Mühe, das Verhalten Genschers erklärbar zu machen. Wie Helmut Schmidt und Egon Bahr habe Genscher in den Achtzigerjahren der Entspannungs- politik auch durch seine Gesprächsbereitschaft mit allen zum Durchbruch verholfen. So stehe Genscher heute für die KSZE-Schlussakte genauso wie für die Bereitschaft, auch mit Diktatoren und autoritären Regimen den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Allein: Was damals richtig gewesen sei, sei heute falsch.
"Die Lage hat sich weiter verschlechtert"
"Die Blaupause der Siebziger- und Achtzigerjahre passt nicht mehr in unsere Zeit", sagte Löning der SZ. Mit Blick auf Aserbaidschan ist er unmissverständlich: "Die Lage hat sich weiter verschlechtert. Gleichzeitig wächst der Widerstand unter jungen Leuten." Die Folge: "Die Spannungen nehmen noch zu." Da dürfe man nicht still bleiben.
Genscher selbst hat lange geschwiegen, wehrt sich nun aber gegen Anwürfe, die er für falsch hält. Der SZ ließ er über sein Büro mitteilen, er habe sich "zu keiner Zeit für mehr Verständnis und Zurückhaltung bei Menschenrechtsfragen in Aserbaidschan ausgesprochen". Das würde seiner jahrzehntelangen Auffassung widersprechen. Immerhin sei er einer der stärksten Befürworter der KSZE-Schlussakte gewesen.
Positiv habe er sich über Aserbaidschans Außenpolitik geäußert. Und das aus innerer Überzeugung, nicht etwa, weil er dafür von irgendjemandem bezahlt würde. Dieser Verdacht war aufgekommen, weil der FDP-Ehrenvorsitzende auch Ehrenvorsitzender des Beirats der Beratungsfirma Consultum ist. Diese hatte zwei Jahre für die aserbaidschanische Botschaft in Berlin gearbeitet. Das Engagement sei 2012 ausgelaufen. Das dürfte die Lage für Baum ein wenig erträglicher machen.