Menschenrechtsbericht:"Die Autokraten sehen sich wachsendem Widerstand gegenüber"

Menschenrechtsbericht: Zivile Gegenwehr: Auf einem Plakat werfen Demonstranten in Budapest nicht nur der ungarischen Regierung vor, wie die Mafia zu agieren.

Zivile Gegenwehr: Auf einem Plakat werfen Demonstranten in Budapest nicht nur der ungarischen Regierung vor, wie die Mafia zu agieren.

(Foto: AFP)
  • Im vergangenen Jahr haben autokratische Tendenzen in vielen Ländern der Welt weiter zugenommen, schreibt Human Rights Watch (HRW).
  • Doch auf der anderen Seite sieht die Menschenrechtsorganisation verstärkt Gegenreaktionen.

Von Barbara Galaktionow

Es ist noch nicht lange her, da warnte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) vehement vor der Bedrohung der Menschenrechte durch den Aufstieg von Demagogen und Populisten. US-Präsident Donald Trump und europäische Populisten förderten Fanatismus und Diskriminierung - und sie ermutigten durch ihr Handeln Autokraten auf der ganzen Welt, stellte die Organisation Anfang 2017 fest.

Diese Entwicklung ist zwar immer noch im Gange: "Die Kräfte der Autokratie haben zugenommen", stellt die Organisation auch in ihrem an diesem Donnerstag veröffentlichten "World Report 2019" fest. Doch - und vor allem diesen Aspekt betonen die Menschenrechtler - die Gegenkräfte hätten es auch: "Die Autokraten der Welt sehen sich wachsendem Widerstand gegenüber."

Die Methode der Antidemokraten - und die Gegenwehr

Im Gegensatz zu früheren Diktatoren vollziehe sich der Aufstieg moderner Autokraten innerhalb demokratischer Systeme, schreibt HRW-Geschäftsführer Kenneth Roth in dem Jahresbericht. Die Demokratie werde dann oft in zwei Schritten unterwandert: Mit populistischen Tönen gegenüber Minderheiten verschafften sich Parteien und Personen breite Aufmerksamkeit und Zustimmung. Einmal gewählt, nutzten diese ihre Macht, um die Gewaltenteilung und mit ihr auch den Rechtsstaat auszuhöhlen.

Staaten, die demokratische Grundrechte und Menschenrechte nicht im eigenen Gebiet hochhielten, würden dann auch dazu tendieren, Verstöße auch in anderen Ländern hinzunehmen. Doch die Zivilgesellschaft antworte nun zunehmend auf diese "verstörenden Trends". Im Berichtszeitraum, der von Ende 2017 bis November 2018 reicht, hätten sich neue Allianzen oft auch kleinerer Länder gebildet, die gegen Menschenrechtsverletzungen vorgingen, oft angetrieben oder flankiert von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und einer Öffentlichkeit, die für ihre Anliegen auf die Straße gehe.

In Polen stemmten sich Richter, die im Zuge der umstrittenen Justizreform der national-konservativen PiS-Regierung entlassen wurden, erfolgreich gegen diesen Schritt. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die Zwangspensionierungen gestoppt werden müssten. In Ungarn demonstrierten Tausende Menschen gegen ein äußerst arbeitgeberfreundliches Arbeitszeitengesetz und den Abzug der angesehenen Central European University, die der rechtskonservativen Regierung ein Dorn im Auge war. Gegen beide Länder hat die EU zudem im vergangenen Jahr wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags eingeleitet.

Eine wichtige Rolle hatte dem HRW-Bericht zufolge 2018 oft der UN-Menschenrechtsrat. Angeführt von einer Gruppe lateinamerikanischer Staaten verurteilte das Gremium erstmals die schwere Repression in Venezuela unter Präsident Nicolás Maduro. Die Tatsache, dass die USA sich unter Trump als erstes Land überhaupt aus dem Menschenrechtsrat zurückgezogen hätten, sei in diesem Fall vielleicht sogar hilfreich gewesen, schreibt HRW-Geschäftsführer Roth: So sei deutlich gewesen, dass bei der Entscheidung nicht "Werkzeuge der Washingtoner Ideologie" am Werk gewesen seien.

Breiten internationalen Bündnissen schreibt HRW Erfolge in Syrien zu. Indem verschiedene Regierungen Druck auf Moskau ausgeübt hätten, hätte ein Blutbad in der syrischen Provinz Idlib verhindert werden können. Ohne die Unterstützung der Russen konnte die syrische Regierung den letzten verbliebenen Rückzugsort der Rebellen nicht einnehmen. Der Kreml stimmte schließlich einem Waffenstillstand zu.

Attacken gegen die "Exzesse autokratischer Herrschaft"

Die Menschenrechtsorganisation begrüßt auch die wachsende internationale Empörung über die schwerwiegenden Menschenrechtsverstöße Saudi-Arabiens. Kanada und die USA verhängten Ende des Jahres Sanktionen gegen einzelne Bürger des Staates, die EU sprach Einreiseverbote aus, mehrere europäische Länder, darunter Deutschland, stoppten ihre Waffenexporte. Einen Wermutstropfen sieht Kenneth Roth jedoch: Es sei "unglücklich", dass es erst den Mord an dem prominenten Journalisten Jamal Khashoggi gebraucht habe und die unzähligen toten Zivilisten im Jemenkrieg nicht ausgereicht hätten, um solche Schritte in Gang zu setzen.

Wachsenden "multilateralen Druck" sieht HRW auch im Hinblick auf China. Mit digitaler Überwachung der Bürger und der massenhaften Inhaftierung vor allem von Mitgliedern der muslimischen Minderheit der Uiguren habe Peking seine Repression im vergangenen Jahr auf das "schlimmste Level" seit dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989 gesteigert. Konkrete Erfolge der Interventionen des UN-Menschenrechtsrats oder protestierender Regierungen kann HRW hier nicht anführen.

Starkes Engagement der Zivilgesellschaft als Gegengewicht zu autokratischen Tendenzen bescheinigt Human Rights Watch auch den USA. Im ganzen Land seien Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die unmenschliche, von Trump eingeführte Praxis zu demonstrieren, dass illegale Einwanderer von ihren Kindern getrennt würden. Bei den Midterms im November hätte eine Mehrheit der Wähler zudem der spalterischen Politik ihres Präsidenten eine Absage erteilt.

Die Kämpfer für Menschenrechte könnten sich ihres Sieges niemals sicher sein. Doch im vergangenen Jahr sei diese Bewegung doch immerhin oft so sichtbar geworden, dass man davon ausgehen könne, dass "die Exzesse autokratischer Herrschaft machtvolle Gegenattacken befeuern", heißt es in dem Bericht.

Das sei wichtig, um zu zeigen, dass sich Repression nicht lohnt. Der Widerstand trage dazu bei, den Preis hochzutreiben, den Regierungen für Menschenrechtsverletzungen zahlten. Auch autokratische Regierungen wägten Kosten und Nutzen gegeneinander ab.

HRW: Zu wenig Widerstand im Bereich Immigration und Asyl

Insgesamt beschreibt der 674 Seiten dicke Menschenrechtsbericht die Lage in fast hundert Ländern. Deutschland ist kein eigenes Kapitel gewidmet. Doch kommt das Handeln der Bundesregierung bei einem Bereich explizit zur Sprache, in dem Human Rights Watch die Gegenwehr gegen populistische und menschenrechtsverletzende Worte und Taten noch nicht für ausreichend hält: der Einwanderungs- und Asylpolitik.

In mehreren Ländern hätten Politiker der Mitte darauf gesetzt, dass die Populisten am besten zu besiegen seien, indem man ihre Rhetorik übernähme. "Diese Strategie hat jämmerlich versagt", stellt Kenneth Roth fest. So habe beispielsweise die CSU von Bundesinnenminister Horst Seehofer bei der Wahl in Bayern deutlich verloren, während die AfD hinzugewann. Ähnlich sehe es in den Niederlanden oder Belgien aus. HRW-Chef Roth kritisiert: "Die Gegenwehr gegen die fremdenfeindliche Antwort auf die Einwanderung - und die Islamophobie, die häufig damit einherging - war nicht so stark wie notwendig."

Zur SZ-Startseite
Bootsflüchtlinge im Mittelmeer

Bootsflüchtlinge
:Auch im Mittelmeer gilt das Recht

Die Europäische Menschenrechtskonvention ist keine Frage der Moral - die Konvention ist bindend. Warum es ein klarer Rechtsverstoß ist, wenn Italien die libysche Küstenwache aktiviert, um Flüchtlingsschiffe nach Libyen zu bringen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: